Skip to main content

Wenn 48 Pharmaunternehmen ein COVID-Symposium sponsern… aus der beliebten MEZIS-Reihe „Fortbildungen mit schlimmen Interessenkonflikten“

Vorab zur Einordnung

MEZIS hatte schon vor einem Jahr ein exquisites COVID-Symposium der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft wegen 100.000 Euro Sponsoring von der Pharmaindustrie kritisiert. Nach öffentlichem Druck hatte der Veranstalter freiwillig auf die beantragte CME-Fortbildungszertifizierung bei der Ärztekammer verzichtet. Dieser Artikel ist Teil der MEZIS-Reihe „Interessenkonflikte bei Fachgesellschaften und CME-Fortbildungen“. Zuletzt hatten wir die Deutsche Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen, Deutsche Diabetes Gesellschaft, die Deutsche Hochdruckliga e.V. und die Dresdner Herz-Kreislauftage analysiert.

Update 13.11.2023

Bis heute (13.11.23) haben sich weder die Paul-Martini-Stiftung, noch die Leopoldina, noch die Ärztekammer bei uns zu unserer Kritik oder den ungeklärten Fragen geäußert. Der Geschäftsführer Herr Meergans beteuerte auf Nachfrage der Ärztezeitung (2.11.2023): „bei CME-zertifizierten Veranstaltungen der Paul-Martini-Stiftung gelten Transparenz und Produktneutralität“. Er verwies dabei auf die Videos der letzten Veranstaltungen. Schaut man sich dort stichprobenartig z.B. den Vortrag von Herrn Aberle an, sieht man, daß er erneut bei der Transparenzerklärung persönliche Honorare von NovoNordisk verneint. Bei Vortragsminute 0:24 gibt er lediglich „institutionelle“ Beziehungen zu seiner Klinik an. Bei einer detaillierten Offenlegung 2023 für eine Publikation gab er aber an, selbst „Consulting fees, Payment or honoraria for lectures, presentations, speakers bureaus, manuscript writing or educational event“ von NovoNordisk erhalten zu haben. Diese erneute Falschangabe reiht sich ein in andere falsche Angaben von Herrn Aberle, die die Tagesschau auch schon aufgedeckt hatte. Inhaltlich widmet sich der Herrn Aberles Vortrag bereits ab der Hälfte der Vortragszeit -wenig verwunderlich- eben der Präparateklasse für die er von NovoNordisk Geld bekommt…gleiches gilt übrigens auch für den Vortrag des Herrn Nauck: Er bekommt auch Gelder von NovoNordisk und redet fast seine gesamte Redezeit über eben diesen Blockbuster dieser Firma. Getreu dem Motto: „Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt was gespielt wird“.

Neue Entwicklungen werden wir an dieser Stelle dokumentieren.

Das Wichtigste in Kürze

Das aktuell geplante COVID-Symposium der Paul-Martini-Stiftung am 17. und 18. November in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin: „Prävention und Therapie von COVID-19: Update und Learnings“ ist in punkto Industrienähe und Interessenkonflikten noch krasser als das der Walter-Siegenthaler-Gesellschaft:

  • Die als Veranstalter firmierende Paul-Martini-Stiftung wird direkt und vollständig von 48 Unternehmen der Pharmaindustrie und damit von den direkten Nutznießern des Abends finanziert.
  • Es muss davon ausgegangen werden, dass Konzept, Fokus, Referent:innen- und Themenauswahl direkt durch die Pharmaindustrie organisiert wurde. Die Begrüßungsrede darf der Managing Director der Firma Pfizer halten. Er sitzt neben dem Medical Director von Biontec auch auf dem Podium, wenn es um gesetzliche Rahmenbedingungen und Innovation geht.
  • Neben der Crème de la Crème der deutschen Virolog:innen wie dem Kollegen Drosten oder der Kollegin Ciesek soll zudem die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, als Mitveranstalterin dieser Werbeveranstaltung Seriösität und Wissenschaftlichkeit verleihen.
  • Die Veranstalter haben eine CME-Fortbildungszertifizierung bei der Berliner Ärztekammer beantragt, obwohl dies nach deren eigenen Regelungen nicht anerkennungsfähig ist.

 

Warum MEZIS hier wieder aktiv wird…

Vorab: Jedes Unternehmen darf natürlich seine Produkte bewerben, nicht erlaubt ist dies jedoch bei CME-Fortbildungsveranstaltungen, die durch die Ärztekammern zertifiziert werden.

MEZIS hat am 02.11.2023 deshalb:

Die Paul-Martini-Stiftung: PR-U-Boot der Pharmaindustrie am Beispiel Adipositas-Werbeveranstaltung

Träger der Stiftung ist der Verein vfa [Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V.], Berlin, der als Verband derzeit 48 forschende Pharma-Unternehmen vertritt“ steht schon auf der Webseite. Somit bezahlt die Pharmaindustrie – via vfa – direkt die Veranstaltungen und hat damit natürlich Planungshoheit über Themen und Referent:innen und ein sicherlich reichlich bemessenes Budget für Werbung, Ambiente und Schnittchen. Sichergestellt wird dies zusätzlich durch den Vorstand der Stiftung: der Vorstandssprecher ist ist Managing Director bei Pfizer, seine Stellvertreterin Medical Director bei Boehringer Ingelheim, und der geschäftsführende Vorstand stellt durch seine Doppelposition als Senior Medical Director bei Merck und als Geschäftsführer Forschung und Entwicklung beim vfa das richtige Agenda-Setting sicher. Der ärztliche „wissenschaftliche Berater“ und für die Zertifizierung bei der Ärztekammer verantwortliche wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung arbeitet zwar schon seit 11 Jahren (sicherlich nicht unentgeltlich) für diese Stiftung, hat diesen Interessenkonflikt (bezahlte Beratungstätigkeit für eine Stiftung, die von der Pharmaindustrie vollumfänglich finanziert wird) aber zum Beispiel hier nicht deklariert.

Die PR-Strategie des vfa und die Rolle der Paul-Martini-Stiftung kann man exemplarisch an der Veranstaltung: „Arzneimitteltherapie der Adipositas: Aktuelles und Ausblick Workshop der Paul-Martini-Stiftung am Donnerstag„, vom  30. März 2023 darstellen. Es ist allgemein bekannt, dass die Abnehmspritze „Wegovy“ von NovoNordisk im Sommer diesen Jahres durch eine breit kritisierte Werbekampagne auch in Deutschland einen Hype auslöste. Zeitlich passend wurde diesem Themenkomplex ein hochkarätig besetzter Workshop gewidmet, in der ehrwürdigen Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Würde man über eine Werbeveranstaltung für Wegovy reden, wäre alles nachvollziehbar:

  • Der Managing Direktor von Pfizer durfte die Begrüßungsrede halten.
  • Den zentralen Vortrag zum beworbenen Produkt, nämlich über die Therapieleitlinien, hielt der Chef der Adipositas-Fachgesellschaft. Sowohl dieser Referent als auch die Fachgesellschaft bekommen Geld vom Hersteller. Die Fachgesellschaft bekam zuletzt sogar mehr Geld vom Hersteller als von all seinen Mitgliedern zusammen.
  • Bei der Podiums-Diskussion saß der „Head of Regional Medical Affairs Diabetes der Firma NovoNordisk“ mit in der Runde.

Eine derartige Werbeveranstaltung darf aber definitiv nicht von der Ärztekammer als CME-Fortbildungsveranstaltung geadelt werden!

Warum die Berliner Ärztekammer diese Veranstaltung nicht zertifizieren darf

1) In der gültigen Berliner Fortbildungsordnung und den dazugehörigen Richtlinien heißt es, dass  „[…] die Inhalte, […] die Referenten […] und der Gestaltungsrahmen“ so ausgewählt sein müssen, dass sie „dem Zweck objektiver, interessenunabhängiger ärztlicher Fortbildung dienen“ und „die Inhalte frei von wirtschaftlichen Interessen sind“. Das erscheint uns bei der Finanzierung durch 48 Pharmaunternehmen, die weiter Milliardengeschäfte mit COVID machen wollen, bereits strukturell nicht gewährleistbar. Zudem haben mehrere Referenten relevante Interessenkonflikte [z.B. hier und hier] und wenn auf dem Podium zwei hochrangige Lobbyisten [eins, zwei] der Pharmaindustrie sitzen dürfen, sind die Inhalte und der Gestaltungsrahmen durchaus geeignet, wirtschaftliche Interessen zu fördern.

2) Weiter heißt es in den Richtlinien:Die wissenschaftliche Leitung der Fortbildungsmaßnahme stellt die Produktneutralität der Fortbildungsmaßnahme sicher„. Der wissenschaftliche Leiter bekommt sein Geld von 48 Pharmafirmen, ob über eine Stiftung kaschiert oder nicht, erscheint uns zweitrangig. Wie an der Adipositas-Veranstaltung exemplarisch aufgezeigt, konnte er zumindest bei dieser letzten Paul-Martini-Veranstaltung keine Produktneutralität sicherstellen.

3) Und weiter heißt es in den Richtlinien:Grundsätzlich nicht anerkennungsfähig ist eine Fortbildungsmaßnahme,
– bei der die Produktneutralität nicht gewährleistet ist,
– bei der die wissenschaftliche Leitung in einem Leitungs- oder Angestelltenverhältnis zu einem Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, einem Medizinproduktehersteller, einem Unternehmen vergleichbarer Art oder einer Vereinigung solcher Unternehmen stehen.“

4) Das bestätigen auch die Regelungen der Bundesärztekammer: „Insbesondere produktbezogene Informationsveranstaltungen u. a. von Pharmaunternehmen,
Herstellern von Medizinprodukten, Anbietern von weiteren Produkten und Dienstleistungen im Gesundheitssektor sowie von Vereinigungen solcher Unternehmen können nicht anerkannt werden. Mit der Teilnahme an einer solchen Veranstaltung, die ein produktbezogenes Sponsoring beinhaltet, können Ärzte ihre Fortbildungspflicht nicht erfüllen.

Fazit:
Die Berliner Ärztekammer muss die Beantragung erneut prüfen und die Zertifizierung verweigern, ein rückwirkender Entzug der Zertifizierung für vorherige Veranstaltungen wäre konsequent. Für die Zukunft darf diese Industriestiftung mangels Unabhängigkeit keine CME-Zertifizierungen mehr erhalten.