Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat ein Problem mit Interessenkonflikten
Aktualisierung vom 23.11.22
Nach positiven Rückmeldungen von DDG-Mitgliedern, Referenten und eines Whistleblowers auf unser Schreiben und das Medienecho auf das COVID-Symposium mit freiwilligem CME-Verzicht (Medienecho dazu (ND,7.11.22, BSZ, 14.11.22)) haben wir der DDG-Spitze am 6.11.22 folgende Fragen zukommen lassen, auf deren Antworten wir bis heute warten (Pressemitteilung vom 23.11.22):
1) Sehen Sie in der Tatsache, dass Sie von 50 Ausstellern mehr als eine 3/4 Mio Euro alleine für diese Veranstaltung bekommen (zusätzlich zu einer Großspende von 250.000 Euro von einem Insulinhersteller) einen strukturellen Interessenkonflikt der DDG?
2) Wenn Sie selbst schreiben, dass „Der Kongress […] eine wesentliche Ertragsquelle des Vereins“ ist, würden Sie sich diesbezüglich dennoch als „unabhängig von wirtschaftlichen Interessen“ bezeichnen, wie es die Fortbildungsordnung der LÄK zu Anerkennung von CME-Punkten fordert?
3) Der Vorsitzende Ihrer Interessenkonflikt-Kommission schrieb uns: „Bestehende Interessenkonflikte von Expert*innen transparent zu machen, um sie situationsbezogen im wissenschaftlich‐medizinischen Kontext auszuschließen, ist seit Jahren ein großes Anliegen der DDG.“ Frage: Wie oft hat diese Kommission in der Vergangenheit bereits Referent:innen aufgrund relevanter Interessenkonflikte von Veranstaltungen oder Publikationen ausgeschlossen?
4) Wie beurteilen die DDG-Spitze und Kommission anhand Ihrer Statuten die von uns dargestellten folgenden konkreten Interessenkonflikt-Situationen und welche Konsequenzen sollte dies Ihrer Ansicht nach haben?
a) Referent:in eines CME-Vortrags ist gleichzeitig im Advisory Board eben des Pharma-Unternehmens, welches Sponsor der Veranstaltung ist und zu deren Produkte der Referent diesen Vortrag hält?
b) Referent:in einer wissenschaftlichen Publikation im Namen der DDG ist gleichzeitig im Advisory Board eben des Pharmaunternehmens, zu dessen Produkten der Autor im Positionspapier schreibt?
5) Gab es in der Programmkommission für diese Veranstaltung Funktionsträger, die Gelder von Sponsoren erhielten?
6) Warum sind entgegen Ihrer eigenen Statuten die Interessenkonflikte der Funktionsträger der DDG nicht auf der DDG-Webseite veröffentlicht?
Wir sehen uns durch dieses intransparente Verhalten in unserer Kritik bestätigt: Die DDG hat ein massives, strukturelles Problem mit Interessenkonflikten und disqualifiziert sich dadurch auch für jegliche CME-Zertifizierung.
Einleitung
„Bestehende Interessenkonflikte von Expert*innen transparent zu machen, um sie situationsbezogen im wissenschaftlich‐medizinischen Kontext auszuschließen, ist seit Jahren ein großes Anliegen der DDG. “ Das schrieb uns der Vorsitzende der eigens dafür eingerichteten „DDG-Kommission Interessenkonflikte“ auf unsere Anfrage.
Wir von MEZIS kommen zu einem vollkommen anderen Ergebnis und möchten die konkreten Auswirkungen eines fehlenden Interessenkonfliktmanagements bei einer medizinischen Fachgesellschaft wie der DDG hier darstellen. Wir haben einige Fragen formuliert, auf die wir gerne Antworten hätten. Zudem haben wir Briefe an die DDG, die Referent:innen und die Landesärztekammer Hessen verschickt mit der Aufforderung, die CME-Zertifizierung zurückzuziehen.
Strukturelle Interessenkonflikte der Fachgesellschaften führen zu Veranstaltung mit Industriemessen-Charakter
Als Beispiel dafür dient die kommende DDG-(DGA)-Herbsttagung am 24. bis 26. November 2022 in Wiesbaden. Es beginnt bereits bei der Nichteinhaltung der formalen Kriterien für die CME-Zertifizierung:
Die aktuelle Fortbildungsordnung der Ärztekammer Hessen setzt voraus, dass Inhalte „unabhängig von wirtschaftlichen Interessen“ sein müssen und „Dienstleistungen und/oder Produkte […] nicht beworben werden“ dürfen. Weiter heißt es zum Umfang des Sponsorings: „Diese Hinweise müssen sich auf allen Veranstaltungsankündigungen (Programm, Flyer, Website etc.) befinden“.
Auf der Webseite https://herbsttagung-ddg.de/ sind keinerlei Hinweise zum Sponsoring auffindbar. Auch im Tagungsprogramm finden sich dazu keine Hinweise. Die geforderten Informationen sind nur auf einer anderen Webseite, nämlich https://industrie-diabetes.de/ zu finden. Dort wird unter dem Link Sponsoren/Symposien jedoch auch nur einer von fast 50 Sponsoren genannt. Es fehlt dort zudem die von der Ärztekammer geforderte „Höhe der Gesamtaufwendung“. Bei der Frage, ob die DDG bei dieser Masse an Geldgebern überhaupt noch Interessenkonflikt-freie und neutrale Fortbildungen während dieser Tagung anbieten kann, fällt auf, dass die insgesamt 34 Industriesymposien räumlich und zeitlich so zentral positioniert wurden, dass eine davon klar getrennte Teilnahme an den CME-Veranstaltungen verunmöglicht wird.
Die Annahme, dass die „Veranstaltung nicht unabhängig von wirtschaftlichen Interessen ist“, wird neben der großen Menge an Sponsoren auch durch die hohe Summe an reinen Sponsoringgeldern (mehr als eine 3/4 Mio. Euro) und auch dem aktuellen DDG-Geschäftsbericht unterstützt, in dem es heißt: „Der Kongress ist eine wesentliche Ertragsquelle des Vereins„. Positiv vermerkt wird dort unter anderem auch eine „Großspende der Firma Novo Nordisk in Höhe von 250.000 Euro„.
Offene Fragen: Welche Funktionsträger der DDG mit welchen Interessenkonflikten haben diese „Tagung“ wie eine Industriemesse konzipiert? Saßen die Sponsoren vielleicht mit am Planungstisch dieser Veranstaltung?
Zwischenfazit: Bereits die Konzeption dieser Veranstaltung trägt Züge einer Industriemesse. Natürlich kann jeder eine Werbeveranstaltung durchführen, darf dann dafür aber keine Zertifizierung für CME-Punkte beantragen. Es sei denn, er kann guten Gewissens behaupten, die Vorträge seien „unabhängig von wirtschaftlichen Interessen“. Das dies auch nicht zutrifft, zeigt bereits die folgende erste Stichprobe der Inhalte.
Fehlendes Interessenkonflikt-Management lässt Pharma-Berater:innen als Referent:innen zu
Eine stichprobenartige Überprüfung der Interessenkonflikte der Referent:innen zeigt: Vorsitzende und Referierende von CME-Fortbildungen dürfen bei der DDG auch zugleich Berater (Advisory Board) von Sponsoren der Veranstaltung sein. Bei den untersuchten Vorträgen halten diese Berater:innen von Pharma-Firmen Vorträge zu eben diesen – meist hochpreisigen – Produkten. Nach unserer Auffassung ein absolutes „No-Go“ und unvereinbar mit den DDG-Statuten zu Interessenkonflikten.
Ein Beispiel: Der Referent bzw. Vorsitzende der Vorträge „SGLT-2 Inhibitoren, Inkretine und Mehrfachagonisten – Wohin geht die Reise?“ und “Vortrag GLP-1 Rezeptoragonisten, was ist neu?“ unterhält als Berater geschäftliche Beziehungen mit AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, Merck Sharp & Dohme und Novo Nordisk. Diese Interessenkonflikte erlauben nach unserer Auffassung per se keine CME-Vorträge, da jemand, der Gelder von einer Pharma-Firma bekommt, nicht „unabhängig von wirtschaftlichen Interessen“ sein kann, zumal er über deren Produkt spricht.
Fragen: Warum sieht die „DDG-Kommission für Interessenkonflikte“ hier keinen akuten Handlungsbedarf? Warum kann/will die DDG gerade bei solch heiklen Vorträgen zu hochpreisigen Produkten keine neutralen Referent:innen präsentieren (wie es im Übrigen auch die Vorgaben der Landes- und Bundesärztekammer vorschreiben)? Warum bietet die DDG Referent:innen mit massiven Interessenkonflikten bei CME-Fortbildungen noch eine Bühne, obwohl die gleichen Referent:innen bei der AWMF als Leitlinienautoren wegen Befangenheit von Abstimmungen aus gutem Grund ausgeschlossen werden?
Fehlendes Interessenkonflikt-Management lässt Pharma-Berater:innen als Autor:innen zu Positionspapier zu
Dass der Kongress kein Einzelfall und fehlendes Interessenkonflikt-Management entgegen der eigenen Statuten die Regel ist, zeigt zum Beispiel auch ein aktuell veröffentlichtes „Positionspapier“ der DDG (und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, DGK). Einen großen Platz nimmt dort -nicht überraschend- die Therapie mit den sog. SGLT2-Hemmern ein. Erschreckend ist, dass ausnahmslos alle Autor:innen dieses Papiers relevante Interessenkonflikte haben: Alle 18 Autor:innen geben an, als bezahlte Redner:innen und/oder Berater:innen von eben den Firmen, die SGLT2-Hemmer in Deutschland verkaufen (Böhringer/Ingelheim, Astra Zeneca), Gelder erhalten zu haben. Solche Interessenkonflikte sind bei der AWMF-Leitlinienerstellung für Autor:innen aus gutem Grund ein Ausschlusskriterium. Es ist unverständlich, warum beide Fachgesellschaften gerade bei einem Positionspapier, bei dem es um diese (im Vergleich zur Standardtherapie) deutlich teureren Medikamente mit nur fraglicher Überlegenheit geht, jegliches Gespür für Neutralität und Transparenz vermissen lassen.
Hier die Interessenkonflikte für dieses Positionspapier – der Übersicht halber in kleiner Schrift. Sie zeigen eindrücklich, dass Transparenz ohne effektives Interessenkonflikt-Managment sinnlos ist:
KS hat Vorträge für Amgen, AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim, Lilly, MSD, Novo Nordisk, Novartis, OmniaMed durchgeführt und als Beraterin für Amgen, AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim fungiert. Sie hat Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim erhalten.
JA hat Vorträge für Novo Nordisk, AstraZeneca, Lilly Deutschland, Boehringer Ingelheim durchgeführt und als Berater für Novo Nordisk, AstraZeneca, Lilly Deutschland, Boehringer Ingelheim fungiert.
JB hat Vorträge für Amgen, AstraZeneca, Bayer, BMS, Boehringer Ingelheim, Cardior, Corvia, CVRx, Novartis, Pfizer, Vifor durchgeführt und als Berater für Amgen, AstraZeneca, Bayer, BMS, Boehringer Ingelheim, Cardior, Corvia, CVRx, Novartis, Pfizer, Vifor fungiert. Er hat Forschungsförderung von Abiomed, CVRx, Zoll erhalten.
ALB hat Vorträge für AstraZeneca, Boehringer Ingelheim und Novo Nordisk durchgeführt und als Berater für AstraZeneca, Bayer und Novo Nordisk fungiert. Die Erlöse gehen an das Universitätsklinikum Tübingen. Die Einrichtung erhält Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim.
SF hat Vorträge für Abiomed, Amarin, Amgen, Akzea, AstraZeneca, Bayer, Berlin-Chemie, Biotronik, Boehringer, Braun, Bristol-Myers Squibb, Boehringer, Daiichi Sankyo, Lilly, Medtronic, MSD, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis, Servier, Siemens, Vifor, Zoll durchgeführt und als Berater für Astra (Herzinsuffizienz), Bayer (Antikoagulation, Herzinsuffizienz), Boehringer (Diabetes, Herzinsuffizienz), Sanofi-Aventis (Hyper-Cholesterinämie), Vifor (Kalium, Herzinsuffizienz) fungiert. Er hat Forschungsförderung von Abiomed, Amarin, Amgen, Akzea, AstraZeneca, Bayer, Berlin-Chemie, Biotronik, Boehringer, Braun, Bristol-Myers Squibb, Boehringer, Daiichi Sankyo, Lilly, Medtronic, MSD, Novartis, Pfizer, Sanofi-Aventis, Servier, Siemens, Vifor, Zoll erhalten.
MG hat Vorträge für Amarin, BMS, Viatris, DELAB gehalten und als Berater Boehringer Ingelheim und Roche Diagnostics fungiert.
SJ hat Vorträge für Amarin, Amgen, Astra Zeneca, Bayer, Berlin Chemie, BMS, Boehringer Ingelheim, Daiichi Sankyo, Lilly, Medcon, Merck, MSD, Novo Nordisk, Novartis, Roche, Sanofi, Sciarc; VIFOR durchgeführt.
MK hat Vorträge für AstraZeneca, Bayer, BMS, Boehringer-Ingelheim, MSD, Lilly, Novo Nordisk, Novartis durchgeführt und als Beraterin für Abbott, Bayer, Boehringer Ingelheim, MSD, Lilly, Novo Nordisk und Sanofi fungiert.
ML hat Vorträge für Lilly, Berlin Chemie, Bayer Vital, Daiichy-Sankyo, Boehringer Ingelheim, MSD. Novartis, Astra, Vifor-Pharma, Servier durchgeführt.
CL hat Vorträge für Astra Zeneca, Bayer, Berlin Chemie, Boehringer Ingelheim durchgeführt und Forschungsförderung von Novartis erhalten.
NM hat Vorträge für Abbott, Amgen, AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim/Lilly, BMS, MSD, Novo Nordisk, Pfizer, Sanofi Aventis durchgeführt und als Berater für AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheirn/Lilly, Genfit, Kowa Research Inst., MSD, Novo Nordisk fungiert. Er hat Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim erhalten. Er ist im Besitz von Geschäftsanteilen von Biontech.
DMW hat Vorträge für Amarin, Amgen, AstraZeneca, Boehringer-Ingelheim, Bayer, Daichii-Sankyo, Lilly, MSD, Novo Nordisk, Sanofi, Novartis durchgeführt und als Berater für Amarin, Amgen, AstraZeneca, Boehringer-Ingelheim, Bayer, Daichii-Sankyo, Lilly, MSD, Novo Nordiak, Sanofi, Novartis fungiert. Er hat Forschungsförderung von Amarin und Astra Zeneca erhalten.
PR hat Vorträge für Edwards, Medtronic, Abbott, Biotronik, AstraZeneca, Novartis, Bayer, Vifor, Daiichi-Sankyo, CTI GmbH, diaplan, Herzzentrum Leipzig, Leipzig Heart Institute GmbH, Kelcon, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, EuroPCR, StreamedUp, BNK, HeartLive durchgeführt und als Berater für Vifor und Pathways fungiert. Er hat Forschungsförderung von Pfizer und der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung erhalten.
PCS hat Vorträge für Bayer, Boehringer, Novartis durchgeführt und als Berater für Bayer, Boehringer Ingelheim, Daiichi, Novartis fungiert. Er hat Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim und Abiomed erhalten.
DT hat Vorträge für Boehringer Ingelheim, Lilly Deutschland, Novo Nordisk, SCIARC GmbH durchgeführt und Forschungsförderung von Bayer Vital, Boehringer Ingelheim, Lilly Deutschland, Novartis, Novo Nordisk, Applied Therapeutica, AstraZeneca erhalten.
SvH hat Vorträge für Bayer, Boehringer Ingelheim, Brahms, Chugai, Grnenthal, Helsinn, Hexal, Novartis, Respicardia, Roche, Sorin und Vifor durchgeführt und als Berater für Bayer, Boehringer Ingelheim, Brahms, Chugai, Grnenthal, Helsinn, Hexal, Novartis, Respicardia, Roche, Sorin und Vifor fungiert. Er hat Forschungsförderung von Boehringer Ingelheim, AstraZeneca, Ergomed, Thermo Fisher erhalten.
TZ hat Vorträge für Alkem Lab Ltd, AstraZeneca, Bayer AG, Boehringer Ingelheim, Sun Pharmaceutical durchgeführt und als Berater für Boehringer Ingelheim fungiert.
TF hat Vorträge für Amarin, AstraZeneca, Böhringer Ingelheim, Berlin Chemie, Cipla, Daiichi-Sankyo, Lilly, Fortbildungskolleg, MSD, Novartis, Novo Nordisk, Sanofi, Santis durchgeführt und als Berater für AstraZeneca, Atrogi, Bayer, Cipla, Lilly; Eysense, Fortbildungskolleg, Novo Nordisk, Pfizer, Sanofi, Raymond und Roche fungiert.
Fazit: Die DDG hat sich durch fehlendes Interessenkonflikt-Management in allen von uns untersuchten Bereichen abhängig von Pharma-Firmen gemacht und muss sich die Kritik gefallen lassen, bei Veranstaltungen wie oben dargestellt, den exklusiven Zugang zu den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen meistbietend an Pharmafirmen zu verkaufen. Zugleich zeigen die obigen Beispiele, dass Entscheidungen von Funktionsträgern für Kooperationen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Veranstaltungen etc. durch deren eigene Interessenkonflikte massiv beeinflusst werden.
Wir haben den Vorstand und die Geschäftsführung der DDG, die Landesärztekammer Hessen und die Referent:innen per E-Mail über die Missstände bei der geplanten CME-Zertifizierung informiert und werden Neuigkeiten hier bekanntgeben.