Aus der beliebten MEZIS-Reihe: „Fachgesellschaften mit schlimmen Interessenkonflikten“ – heute die Deutsche Gesellschaft für Pharma Relations… für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR)
Auch die Deutsche Gesellschaft für Pharma-Relations Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen e.V. (DGPR) hat ein großes Problem mit Interessenkonflikten – und das chronisch und auf allen Ebenen. Die daraus resultierenden Abhängigkeiten von der Pharmaindustrie sind so massiv, dass eine – der Wissenschaft verpflichtete – Mitarbeit an Leitlinien oder produktneutrale CME-Fortbildungen – wie der geplante DGPR-Kongress – unmöglich erscheinen.
Dieser Artikel ist Teil der MEZIS-Reihe „Interessenkonflikte bei Fachgesellschaften und CME-Fortbildungen“. Zuletzt hatten wir die Deutsche Diabetes Gesellschaft, die Deutsche Hochdruckliga e.V., die Walter-Siegenthaler-Gesellschaft und die Dresdner Herz-Kreislauftage analysiert.
Strukturelle Interessenkonflikte der DGPR, Teil 1: Zwei Vereine, Null Transparenz
Die strukturellen Probleme bei der DGPR e.V. und seinem Förderverein treten schon beim Umgang mit Jahresberichten, Spenden von Pharmafirmen und den Einnahmen aus dem umfangreichen Pharma-Sponsoring zu Tage. Eine routinemäßige Veröffentlichung dieser Einnahmen auf der Webseite ist bei Vereinen schon aus Transparenzgründen eigentlich selbstverständlich. Das angeschriebene DGPR-Präsidium verweigerte uns aber am 01.02.2023 schriftlich und explizit jegliche Auskunft darüber.
Dieses Schweigen ist umso irritierender da offensichtlich ist, dass die Pharmaindustrie die DGPR finanziert: Auf ihrer Webseite präsentierte die DGPR stolz ihre „Industriepartner“ (archivierter Schnappschuss, nach unserer Anfrage wurde die Unterseite „Industriepartner“ gelöscht) denn „ohne die aktive Unterstützung unserer Mitgliedsfirmen im Förderverein der DGPR [wäre die Arbeit der DGPR] unmöglich„. Solch ein schlechtes finanzielles Vereinsmanagement wirkt aus der Zeit gefallen, denn andere Fachgesellschaften wie z.B. die DEGAM können das alles schon immer ohne Pharmafirmen.
Strukturelle Interessenkonflikte der DGPR, Teil 2: Der DGPR-Jahreskongress als sichtbarer Ausverkauf einer Fachgesellschaft
Man kann aufgrund der geheim gehaltenen Zahlen nur mutmaßen, aber der 49. Jahreskongress der DGPR am 23. und 24. Juni 2023 in Berlin ist sicherlich eine der Haupteinnahmequellen dieses Vereins. Schaut man sich die Marketing-Optionen für den DGPR-Jahreskongress an, wird der Ausverkauf dieser Fachgesellschaft offensichtlich: Für 17.000 Euro kann man sich die DGPR als „Gold-Sponsor“ kaufen… nein, nur den Zugang zu den Köpfen der Teilnehmenden, nein… natürlich nur einen 8 m2 großen Stand. Oder wie wäre es mit dem „Lunch-Symposium“ mit „60 Minuten Vortragszeit“ und „exklusivem Catering“ für nur 8000 Euro?
Ein Beispiel für die Auswirkungen dieses Sponsorings auf die Veranstaltung sei hier genannt. Der erste Vizepräsident der DGPR, Prof. Schlitt hält unter anderem zum Lunch-Symposium der Firma Daiichi-Sankyo „Update Antikoagulation und Lipidmanagement“ den Vortrag „DGPR Therapiepfad 2023 für Patient*innen mit ACS und Dyslipidämie – was sollte sich ändern?„. Dabei bekommt Herr Schlitt nach eigener Auskunft Gelder von Novartis, Amarin, Amgen, AstraZeneca, Bayer, Berlin Chemie, Böhringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Novartis Pharma, Pfizer und Sanofi. Für Sanofis Symposium hält er den Vortrag „Update Lipidmanagement für KHK-Patienten„. Wie weiter unten im Text geschildert, wird eben dieser „Therapiepfad“ von der Firma Sanofi in einer nicht näher definierten Weise „unterstützt“.
Man könnte einwenden, dass Lunch-Symposien nicht mit CME-Punkten zertifiziert werden und dem Zuhörer klar sein müsse, dass diese Symposien der Werbung dienten. Wenn jedoch der Vize-Chef der veranstaltenden Fachgesellschaft den Vortrag zum einzigen aktuellen Fachgesellschafts-Therapiepfad nicht im wissenschaftlichen Programm sondern im Werbeblock einer Pharmafirma hält, wurden bereits durch die DGPR-Kongressplanungsgruppe bewusst Werbung und Information vermischt (zumal Sanofi am meisten Geld bezahlt hat). Es stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Sponsoren an der Kongressplanung mit beteiligt wurden.
Schaut man sich die anderen, „werbefreien“, CME-zertifizierten Kongress-Vorträge an, bietet sich das gleiche Bild: So referiert Herr Schlitt auch zum Thema Vorhofflimmern, bei der Offenlegung seiner relevanten Interessenkonflikte fehlen jedoch jegliche Offenlegungen (siehe Screenshot). Wie oben dargestellt, bekommt Herr Schlitt aber Gelder von eben den Herstellern der Medikamente, die bei Vorhofflimmern eingesetzt werden (und die den Kongress sponsern).
Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass dieser Kongress von der Berliner Ärztekammer nicht zertifiziert werden darf, denn in der gültigen Fortbildungsordnung und den dazugehörigen Richtlinien heißt es, dass „[…] die Inhalte, […] die Referenten […] und der Gestaltungsrahmen“ so ausgewählt sein müssen, dass sie „dem Zweck objektiver, interessenunabhängiger ärztlicher Fortbildung dienen“ und „die Inhalte frei von wirtschaftlichen Interessen sind“.
Subtile Werbung für Pharmafirma direkt auf der Startseite
Ein weiteres Beispiel für die Käuflichkeit dieser Fachgesellschaft: Die DGPR gab ihren guten (?) Namen gleich direkt auf ihrer Startseite für eine Werbekampagne der Firma Bayer her (archivierter Schnappschuß der Webseite). Unverhohlen warb die DGPR dort für Bayers tollen „Core-Comet-Award“. Das Pharma-Unternehmen spendiert dort 5000 Euro für neue Herzgruppen von Patient:innen mit Herzinsuffizienz.
Das sind für Bayer gut investierte Peanuts: Denn neben der zielgruppengenauen PR, die die Fachgesellschaft unentgeltlich (?) übernimmt, verkauft Bayer just im Bereich Herzinsuffizienz natürlich Medikamente, so zum Beispiel das neue „Verquvo“ mit Jahres-Therapiekosten von über 1500 Euro.
Komischerweise fehlte die Firma Bayer in der (inzwischen gelöschten) Liste der stolz aufgeführten Industriepartner (archivierter Schnappschuss der Webseite)… aber bei so viel Unterstützung kann man schon mal den Überblick verlieren. Interessanterweise wurde diese Liste nach unserer ersten Anfrage zwischenzeitlich verändert und nun dem Förderverein angegliedert, weiterhin ohne offengelegte Finanzierung.
Inhaltliche Interessenkonflikte: Zwei Beispiele zu Auswirkungen durch die Leitlinienbeteiligung der DGPR
Neben den dargestellten strukturellen Interessenkonflikten in den beiden Vereinen und dem Kongress, deren Ausmaße mangels verfügbarer Zahlen nicht einmal abgeschätzt werden können, kompromittieren diese strukturellen und personellen Interessenkonflikte in der DGPR auch konkret den Bereich der Leitlinienerstellung – zwei Beispiele:
DGPR-„Leitlinie“ – mit freundlicher Unterstützung von Sanofi
Der „Therapiepfad für Patient:innen mit ACS und Dyslipidämie in der kardiologischen Rehabilitation. DGPR 03/2022“ besteht aus einer Seite Inhalt und einer Seite Werbung für Sanofi (siehe folgender Screenshot). Dabei ist Werbung in einer Leitlinie für Ärzt:innen ein absolutes No-Go! Man könnte sich noch inhaltlich wundern über das mehrfache und nicht begründete Abweichen von der eigentlich zu nutzenden Referenz-Leitlinie NVL-KHK. Aber spätestens die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits nachweislich obsolete DGPR-Empfehlung für Omega-3-Fettsäuren (siehe auch hier) disqualifiziert diesen DGPR-Therapiepfad auch wissenschaftlich vollends.
Vielleicht nur ein Einzelfall? Leider nein, auch der „Behandlungspfad der DGPR für Patienten mit Typ-2-Diabetes (T2DM) und etablierter arteriosklerotischer kardio-vaskulärer Erkrankung (ASCVD) in der Rehabilitation“ wird unverfroren „überreicht mit freundlichen Empfehlungen von MSD“ (Merck-Sharp-Dohme, einem Pharma-Unternehmen, welches die in der Leitlinie propagierten Medikamente vertreibt) und ist tituliert als ein „wissenschaftlicher Service von MSD für medizinische Fachkreise„. Wieder durfte hier eine Pharmafirma ihre eigene „Leitlinie“ schreiben und durch die DGPR und die pharmalastige Deutsche Diabetes Gesellschaft legitimieren. Ein Affront gegenüber dem Leitlinienprozess der AWMF zumal die Inhalte der Werbeschrift im Widerspruch zur AWMF-Diabetes-Leitlinie standen und stehen.
DGPR-Entsendung in die NVL (Nationale Versorgungsleitlinie) Hypertonie – auch dieser DGPR-Autor hat relevante Interessenkonflikte
Der von der DGPR abgesandte Autor in der NVL Hypertonie unterhält ebenfalls innige Beziehungen zu den Pharmafirmen, deren Produkte er in der Leitlinie objektiv und unabhängig beurteilen soll: „Berater/Gutachtertätigkeiten für Novartis, GE Healthcare und Customed, Advisory Board von Servier und Hexal und Vorträge für Servier, Hexal und Novartis“.
Personelle Interessenkonflikte im DGPR-Präsidium
Es dürfte niemanden mehr verwundern, dass auch das Führungspersonal der DGPR relevante Interessenkonflikte hat. Zwei Beispiele von vielen: der DGPR-Präsident tingelt seit Jahren als bezahlter Redner für Pharmafirmen in der Dauerwerbesendungsschleife eines größeren deutschen „Ärztefortbildungsanbieters“ durch die Lande. Er erhält Gelder als Berater von „Servier, MSD, Novartis, Amgen“ und zusätzlich Honorare für Vorträge für „AstraZeneca, Bayer Vital, Boehringer Ingelheim, Daiichi Sankyo, esanum, Novo Nordisk, Sanofi Aventis„.
Sein DGPR-Vizepräsident steht ihm in dieser Pharmaverbundenheit in Nichts nach: Advisory Board bei Novartis, Vorträge für Amarin, Amgen, AstraZeneca, Bayer, Berlin Chemie, Böhringer Ingelheim, Bristol Myers Squibb, Novartis Pharma, Pfizer, Sanofi. Wer die Pharmafirma „Amarin“ nicht kennt: Sie stellte interessanterweise die gefloppten Omega-3-Fettsäuren aus dem obigen DGPR-Therapiepfad her…
Man erkennt, dass die höchste Vereinsebene Gelder von Sanofi bekommt… bekommt Sanofi dafür 50% des DGPR-Therapiepfades (links im Bild)?
Fazit für die DGPR: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt, was gespielt wird
Die DGPR hat erkennbar schwere und unkontrollierte Interessenkonflikte auf allen Ebenen, ist strukturell und personell aufs Engste mit der Pharmaindustrie verwoben, verweigert jegliche Transparenz zum Grad ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Pharmaindustrie, verramscht ihren Fachgesellschaftsstatus für maximale Profite bei ihren Kongressen, veröffentlicht Therapie-Empfehlungen, die wissenschaftliche Standards verletzen und hat wahrscheinlich keinen Autor ohne Interessenkonflikte, den sie noch in die AWMF entsenden kann.
Bis die DGPR die Grundprinzipien von Fachgesellschaften wie Wissenschaftlichkeit, Transparenz und Neutralität nachvollziehbar umsetzen kann, sollte sie weder an der Leitlinien-Erstellung teilnehmen noch CME-Punkte beantragen.
Wir haben auch der DGPR drei Fragen bezüglich ihres geplantes Kongresses gestellt und werden die Antworten hier veröffentlichen:
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Wie will die Programm-Kommission mit ihren wahrscheinlich nicht-kontrollierten Interessenkonflikten eine neutrale Themenauswahl und Referent:innen sicherstellen?
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Ab wann saßen die Pharmafirmen bei der Kongress-Planung mit am Tisch?
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Warum werden CME-Punkte beantragt, obwohl hier multiple Verstöße gegen diverse rechtliche Grundlagen sowie eindeutige wirtschaftliche Interessen vorliegen?
Außerdem haben wir die zertifizierende Ärztekammer Berlin gebeten, die Zertifizierung zu überprüfen und die Referent:innen, sich für eine Rücknahme der CME-Zertifizierung im Geiste einer objektiven Fortbildung einzusetzen.
Zum Schluss: Überlegungen zu den Auswirkungen pharmagesteuerter Fachgesellschaften auf Patient:innen, Kolleg:innen, Ärztekammern und die AWMF
Die konkreten Auswirkungen auf Patient:innen und auf die Arzneimittelausgaben durch interessenkonflikt-belastete Therapie-Empfehlungen pharmageleiteter Fachgesellschaften sind immens, viele dieser Beispiele finden sich bei leitlinienwatch.de.
Ärztliche Kolleg:innen sollten insbesondere bei ihrer Fort- und Weiterbildung genau hinschauen, ob ihre Fachgesellschaft diese überhaupt unabhängig organisieren kann.
Alle Ärztekammern müssen dringend diskutieren, mit welchen Mindestkriterien bei der Zusammenarbeit mit fort- und weiterbildenden Fachgesellschaften sie Transparenz und Neutralität sicherstellen können.
Und nicht zuletzt ist die AWMF gefragt, ihre eigenen Regelungen für Interessenkonflikt-Management so zu gestalten, dass bereits bei entsendenden Fachgesellschaften ein Mindestmaß an struktureller Transparenz und Neutralität sichergestellt werden kann.
Leider ist die DGPR kein Einzelfall und wie unsere ähnlichen Analysen der DDG und der DHL bereits gezeigt haben, sind Interessenkonflikte bei Fachgesellschaften ein riesiges Problem in Deutschland.