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Rubrik: Artikel, MEZIS Kompaktnachrichten 1/2025
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Schlagwörter: Elektronische Patientenakte, ePA
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Bernd Hontschik
„Ärztliche Schweigepflicht war gestern. Bei der elektronischen Patientenakte müssen Grundprobleme des Datenschutzes angesprochen und beantwortet werden.“
Große Veränderungen stehen im beginnenden Jahr ins Haus. Zwei davon sind besonders hervorzuheben.
Da ist zum einen die mit viel Getöse angekündigte Revolution im Krankenhaussektor. Die ist, zerredet und gestutzt, im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) gelandet. Dass Gesetze seit einiger Zeit mit suggestiven Namen versehen werden, ist schon zur Gewohnheit geworden. Dass sich die Krankenhauslandschaft durch dieses Gesetz verbessern wird, ist höchst umstritten. Man wird sehen.
Und da ist zum anderen die elektronische Patientenakte (ePA). Ob sich, wie versprochen, die Behandlungsabläufe in Arztpraxen und Krankenhäusern tatsächlich vereinfachen werden, wird man sehen. Nicht umstritten ist aber, dass mit der ePA Grundprobleme des Datenschutzes angesprochen werden, die beantwortet werden müssen. Welche Daten kommen in diese Akte? Wie kommen die Daten in die Akte? Wer kann die Daten lesen? Was geschieht mit diesen Daten? Wo werden sie gespeichert? Wer hat auf meine individuellen Daten Zugriff? Wer hat auf diese immens große Datensammlung Zugriff?
Dieses Projekt braucht Vertrauen, sonst wird es nicht funktionieren. Leider haben viele Beteiligte jeden Vertrauensvorschuss komplett beschädigt, bevor die ePA überhaupt an den Start geht. Hierzu vier Beispiele:
Beispiel eins, was ist „opt-out“? Wegen des absehbar geringen Interesses der Bevölkerung hat man den Anmeldevorgang einfach umgedreht. Erfahrungsgemäß beschäftigt man sich nicht mit Krankheit, solange man aktuell nicht betroffen ist. Daher sind alle qua Gesetz automatisch zu Teilnehmer:innen erklärt worden. Man muss sich also nicht aktiv anmelden („opt-in“), sondern abmelden, weil man schon angemeldet ist, ohne gefragt worden zu sein. Das nennt man die Opt-out-Regelung. Das ist nicht gerade vertrauensbildend.
Beispiel zwei, Originalton Karl Lauterbach: „Daher interessieren sich auch die Hersteller aller großen KI-Systeme für diesen Datensatz. Wir sind im Gespräch mit Meta, mit OpenAI, mit Google, alle sind daran interessiert, ihre Sprachmodelle für diesen Datensatz zu nutzen beziehungsweise an diesem Datensatz zu arbeiten.“ Natürlich versuche man auch „deutsche Lösungen nach vorne zu bringen, das kann ich Ihnen versichern, aber ich kann Ihnen auch versichern, das Interesse an diesem Datensatz wird weltweit sehr groß sein.“ Preisfrage: Kann man Meta, Google oder OpenAI vertrauen?
Beispiel drei, Strafe muss sein: Als wäre nicht schon genug Skepsis angebracht, eröffnete der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz jüngst seine zukünftigen Absichten im Umgang mit ePA-Verweigerern. Er versprach denjenigen, die ihre Gesundheitsdaten auf der ePA speichern, zehn Prozent weniger Krankenkassenbeiträge als den Skeptiker:innen, die Bedenken haben und nicht mitmachen. Wie verlockend ist das bei ständig steigenden Beiträgen!
Beispiel vier, Beschlagnahmen: Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, erklärte jüngst im Deutschlandfunk unter dem Eindruck der Bluttaten von Magdeburg und Aschaffenburg, dass man in Deutschland polizeiliche Register nicht nur für Rechtsextreme und Islamisten brauche, sondern auch eines für psychisch kranke Gewalttäter. Zwar unterliegen Ärztinnen und Ärzte der Schweigepflicht, somit gilt für sie ein Beschlagnahmeverbot. Der § 97 der Strafprozessordnung nennt allerdings als Voraussetzung, dass sich die zu beschlagnahmenden Informationen „im Gewahrsam der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten“ befinden. Die ePA befindet sich aber nicht mehr in ärztlichem Gewahrsam, sondern liegt irgendwo auf zentralen Servern. Einer möglichen polizeilichen Beschlagnahme steht somit nichts im Wege. Wer kann sich da noch furchtlos und ohne Angst vor staatlichem Zugriff in ärztliche Behandlung begeben?
Damit ist alles Vertrauen, sind die möglichen Vorteile der ePA fürs Erste verspielt. Leider, denn es ist ja eigentlich keine schlechte Idee. Ich rate allen, die mich fragen, daher dringend, sich bei der ePA alsbald abzumelden. „Opt-out“ ist bei jeder Krankenkasse ganz einfach möglich, schriftlich oder online.
Autor

Bernd Hontschik
Dr. med. Bernd Hontschik, geboren 1952 in Graz, war bis 1991 Oberarzt an der Chirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Frankfurt-Höchst und bis 2015 in eigener chirurgischer Praxis mitten in Frankfurt tätig. Hontschik ist Autor des Bestsellers »Körper, Seele, Mensch«, Herausgeber der Reihe »medizinHuman« im Suhrkamp Verlag und Kolumnist der Frankfurter Rundschau und der Ärztezeitung. Er ist langjähriges Vorstandsmitglied der »Thure-von-Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin«, Beirat der Akademie Menschenmedizin und der Zeitschrift Chirurgische Praxis. Im Westend Verlag erschienen zuletzt »Heile und Herrsche« (2022) sowie, gemeinsam mit Claudia Hontschik, »Kein Örtchen. Nirgends« (2020).