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Deutscher Ärztetag 2024 verabschiedet neue Musterfortbildungsordnung – ein Durchbruch?

  • MANJA DANNENBERG UND ROLF BLAGA

Ärztliche Fortbildungen sind seit Gründung von MEZIS in unserer ständigen Kritik. Vor allem die Zertifizierung von hochdotierten gesponserten Industrieveranstaltungen durch die Landesärz- tekammern führen die gesetzliche Forderung nach einer Freiheit „von wirtschaftlichen Interessen“ regelmäßig ad absurdum. (1)

Die bisherige Musterfortbildungsordnung (MFBO) bot andererseits auch wenig konkrete Ansatzpunkte, um Veranstaltern die Anerkennung zu verweigern; der Verweis auf die zusätzlichen „Empfehlungen zur ärztlichen Fortbildung“ der Bundesärztekammer wurde bei mehreren Klageverfahren als nicht ausreichend beurteilt.

Beim diesjährigen Ärztetag in Mainz wurde nun eine neue Musterfortbildungsordnung als Vorlage für die Landesärztekammern beschlossen, die wir hier diskutieren wollen.

PRO
Manja Dannenberg, MEZIS

Als Mitglied des Fortbildungsausschusses der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern erlebe ich seit Jahren einen mühsamen Diskussionsprozess. Einerseits bleibt Sponsoring für ärztliche Fortbildungen ausdrücklich erlaubt (für ein Verbot gibt es auch weiterhin nach internen Quellen keine Mehrheit in der Ständigen Kommission Fortbildung, dem zuständigen Gremium der Bundesärztekammer). Andererseits darf keine Beeinflussung durch den Sponsor stattfinden. Zwei Dinge, die offensichtlich kaum zu vereinbaren sind. Allerdings lässt sich Beeinflussung meistens sicher vermuten, aber nur schwer nachweisen. An welchen konkreten Kriterien soll man sie festmachen? Die bisheri- gen Regularien der Bundesärztekammer boten dafür nur wenig Orientierung.

Die neue Musterfortbildungsordnung könnte in dieser Hinsicht einen wesentlichen Fortschritt bringen.

Die formalen Rahmenbedingungen werden detaillierter ausgeführt, die Verpflichtungen und Qualifikationen der einzelnen Beteiligten (Anbieter, Wissenschaftliche Leitung, Referierende) explizit benannt. So liegt es ausdrücklich in der Verantwortung der Wissenschaftlichen Leitung, die Mitwirkenden so auszuwählen, „dass der Zweck neutraler, interessenunabhängiger ärztlicher Fortbildung erfüllt wird.“ (2)

Auch wenn einige Formulierungen unscharf bleiben (v.a. der „angemessene Umfang“ von Sponsoringleistungen), bietet die neue Musterordnung mit einer sehr viel klareren Definition von Beeinflussung eine gute Grundlage für die Anerkennungsverfahren: „Dies setzt insbesondere voraus, dass die Fortbildungsmaßnahme weder direkt noch indirekt darauf abzielt oder in Kauf nimmt, medizinische Entscheidungen der Teilnehmenden aufgrund wirtschaftlicher Interessen der Anbietenden, Mitwirkenden oder Dritter zu beeinflussen.“ (2)

Erfreulicherweise werden erstmalig auch in- haltliche Kriterien für ärztliche Fortbildungen definiert und ausdrücklich eine kritische Be- wertung von Diagnostik und Therapien unter Einbeziehung der Ergebnisse unabhängiger Nutzenbewertungen gefordert. Dies wird bei der Bewertung von gesponserten Fortbildun- gen für die Fortbildungsausschüsse hilfreich sein, aber auch die Qualität aller anderen Fort- bildungen erhöhen.

Letztlich bleibt abzuwarten, wie die Regularien in den einzelnen Landesärztekammern über- nommen und umgesetzt werden – eine gute Grundlage aber ist aus meiner Sicht in Mainz beschlossen worden.

CONTRA
Rolf Blaga, Transparency International Deutschland e.V. (TI-DE)

Die Entscheidung des Ärztetags war längst überfällig. Sie regelt, was eigentlich selbst- verständlich ist: CME-Punkte darf es nur für neutrale und unabhängige Fortbildung geben. Jahrelang haben Ärztinnen und Ärzte hingenommen, dass bei solchen Fortbildungen Produkte des Sponsors besonders hervorgehoben wurden. Ausgewogene, distanzierte oder sogar gegenteilige Darstellungen wurden nicht erwartet; Kritik am Sponsor wäre unerhört gewesen. Als Gegenleistung mussten sie nichts für diese Kurse bezahlen und wurden in gehobenem Ambiente kulinarisch umworben.

Die Vorschriften sind vermutlich nicht aus eigener Einsicht geändert worden. Der Ärztetag ignoriert weiterhin, dass die Pharmaindustrie mit ausgeklügelten Strategien auf allen Ebenen die Fachöffentlichkeit beeinflusst. Dem Gremium ging es vor allem darum, die Musterfortbildungsordnung (MFBO) „gerichtsfest“ zu machen, weil in der Vergangenheit zahlreiche Prozesse verloren wurden.

Das Risiko, dass in Fortbildungen – ob gesponsert oder nicht – dennoch Industrie-Standpunkte einfließen, besteht weiterhin. Untersuchungen zeigen, dass Zuwendungen und Vergünstigungen jeder Art (3) und unabhängig von ihrer Höhe (4)„zu verzerrten Bewertungen entscheidungsrelevanter Informationen und damit zu fehlerhaften fachlichen Entscheidungen“ (5) führen können. Kontakte prägen! Auch Referierende werden – bewusst oder unbewusst – Inhalte zugunsten ihrer Industriepartner vortragen. Beispielsweise wenn sie Begriffe wie „moderne Therapie“ oder „innovatives Medikament“ benutzen, obwohl die aus der Werbung stammen.

Wegen dieser sozialpsychologischen Effekte ist es notwendig, Referierende nicht nur danach zu fragen, ob sie finanzielle Industrieverbindungen haben. Die Firmennamen werden sowieso meist nur für wenige Sekunden gezeigt. Um ihre Aussagen beurteilen zu können, müssen Zuhörende vor allem vorher erfahren, wie eng Referierende mit der Industrie verbunden sind. Gängige Auffassung ist, dass Personen desto neutraler und objektiver urteilen, je schwächer ihre Beziehungen zur Industrie sind.

Wir sollten die Diskussion über industrienahe Referierende eröffnen! Reicht es aus, wenn sie ihre finanziellen Beziehungen in irgendeiner Form offenlegen? Oder sollte man fordern, diejenigen von CME-zertifizierter Fortbildung auszuschließen, die zu eng mit der Industrie verbunden sind? Könnte man nicht sogar rechtfertigen, nur noch Referierende ohne jegliche Industrieverbindungen zuzulassen? So verfahren z. B. fast alle wissenschaftlichen US-Fachzeitschriften, die Autor:innen dann keine Tabakartikel veröffentlichen lassen, wenn sie finanziell mit dieser Branche verbunden sind. (6)

Autor:innen

Manja Dannenberg

Manja Dannenberg ist niedergelassene Hausärztin in Mecklenburg-Vorpommern und seit 2012 Vorstandsmitglied bei MEZIS. An jedem Arbeitstag als Hausärztin verschlüsselt sie viele Diagnosen, attestiert chronische Krankheiten und verordnet zahlreiche Medikamente.

Transparenzerklärung
Vorstandsmitglied MEZIS, Delegierte des Hausärzteverbandes Mecklenburg- Vorpommern, Delegierte der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Erhalt von Forschungsgeld (Innovationsfonds), Praxismitinhaberin

Rolf Blaga

Rolf Blaga ist seit 2021 Leiter der AG Medizin und Gesundheit bei Transparency International Deutschland (TIDE). Er kommt aus der Psoriasis-Selbsthilfe und hat miterlebt, wie Pharmaunternehmen seit Einführung der hochpreisigen Biologika in 2004 Ärzteschaft und Patient:innen systematisch beeinflussen.

Transparenzerklärung:
Mitglied bei Transparency International Deutschland, ehrenamtliche Mitarbeit beim Verein www.Psoriasis Netz.de und aktuell bei der Uni Gießen zur Erstellung der „S3-Leitlinie Psychosomatische Dermatologie“.

Fußnote