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Der betrogene Patient. Gerd Reuther

Ein Arzt deckt auf, warum Ihr Leben in Gefahr ist, wenn Sie sich medizinisch behandeln lassen

In einem MedizinerInnenleben gewöhnt man sich an so Manches: verstümmelnde Operationen ohne zwingenden Grund oder die Verordnung giftiger Substanzen ohne erwiesenen Nutzen. Der Radiologe Gerd Reuther hat sich in 30 Berufsjahren nicht an alles gewöhnen wollen, was als „state of the art“ bezeichnet wird. Seine Auseinandersetzung mit Prinzipien und Strukturen unserer heutigen Medizin gerät damit zu einer veritablen Kritik der medizinischen Unvernunft, deren Grundsätzlichkeit einen Vergleich mit den Kant’schen Kritiken nicht unbedingt scheuen muss.

Der Autor arbeitet in einem Prolog und 9 Kapiteln heraus, auf welch tönernen Füßen auch unsere heutigen Formen der Behandlung stehen. Evidenzbasiert ist das Wenigste. Diagnosen charakterisieren nur selten Krankheitsbilder von den Ursachen her, sondern sind meist nur Beschreibungen von Krankheitsfolgen und Konstellationen von Symptomen. Auch vermeintliche pathophysiologische Konzepte sind selten mehr als Mutmaßungen ohne naturwissenschaftliche Belege. Oft genug sind die Konstrukte durchsichtige Rechtfertigungen für die Anwendung bestimmter Pharmaka. In dieser Hinsicht wirft der Autor zwingend die Frage auf, wieso das Immunsystem als evolutionär erprobtes System der Selbstheilung zum bevorzugten Angriffspunkt der Pharmakologie geworden ist. Das gesamte Konzept „autoimmuner Erkrankungen“ wird dadurch zu einer höchst fragwürdigen Krankheitskategorie. Ebenso die bevorzugte Suche nach genetischen Ursachen von Krankheiten. Anhand plausibler Studien und Abschätzungen konstatiert der Autor eine falsche Verortung der meisten Krankheitsursachen. Tatsächlich sind neben Suchtgiften Umweltgifte und iatrogenen Beschädigungen als häufigste Ursachen von Krankheit und Tod anzunehmen.

Obwohl der Text terminologisch so weit entschärft ist, dass es auch für interessierte Laien verständlich ist, handelt es sich um eine Fundamentalkritik unseres heutigen Medizinbetriebs, mit der sich jeder aktiver Mediziner auseinandersetzen sollte. Der stetig fortschreitenden Subspezialisierungen, der Aktionismus, ökonomische Fehlanreize und auch der Service-Anspruch vieler Patienten entgehen der Analyse nicht. Im abschließenden Kapitel, aber auch als Fazit nach jedem Kapitel hat der Autor konstruktive Vorschläge parat, auch wenn diese derzeit kaum Chancen auf eine Umsetzung haben.

riva Verlag, München 2017, 19,99 €, ISBN-10: 3742300717