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Rubrik: Artikel aus MEZISreihen
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Wir studieren Medizin – und Pharma studiert mit?
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PETER GRABITZ, ZOE FRIEDMANN, SOPHIE GEPP, LEONARD U. HESS, LISA SPECHT, MAJA STRUCK, SOPHIE TRAGERT, Universities Allied for Essential Medicines UAEM;
Medizinstudierende haben regelmäßig Kontakt zur pharmazeutischen Industrie, wobei die Interaktionen im Laufe des Studiums tendenziell sogar zunehmen. Eine Umfrage von Lieb et al. an acht deutschen Medizinischen Fakultäten ergab bereits 2014, dass nur 12% der Studierenden noch nie ein Geschenk der Industrie erhalten oder eine gesponserte Veranstaltung besucht hatten. Geschenke sind beispielsweise Kugelschreiber oder Kongressstipendien.[1]
Wenn der Kontakt mit der Pharmaindustrie für die Studierenden unumgänglich ist: Welche Maßnahmen werden derzeit von den Medizinischen Fakultäten ergriffen, um die Studierenden vor unzulässiger Einflussnahme zu schützen und eine unvoreingenommene Lehrqualität zu gewährleisten?
Im Lernprozess, wie mit solchen Interaktionen umgegangen wird, haben Dozierende an medizinischen Einrichtungen eine entscheidende Vorbildfunktion. Wie viele Dozierende Beziehungen zur Industrie unterhalten, ist für die Öffentlichkeit nicht bekannt. Jedoch legen die zahlreichen Kooperationen zwischen Universitäten und der Industrie sowie eine ausführliche Recherche von CORRECTIV [2] nahe, dass Dozierende oft eng mit pharmazeutischen Firmen in Kontakt stehen. Die Kontakte von Fakultätsmitgliedern zur Industrie sind vielseitig und beinhalten beispielsweise Beratungsbeziehungen oder auch Stiftungsprofessuren. Verschiedene internationale Studien zeigten bereits, dass diese Beziehungen die akademischen und publizistischen Interessen sowie die Inhalte, die ProfessorInnen an Medizinstudierende weitergeben, beeinflussen können.[3][4] Während die Offenlegung von Interessenkonflikten heute auf Fachkonferenzen und bei der Publikation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse üblich oder sogar verpflichtend ist, wurde bisher versäumt, dies auch auf die Lehre zu übertragen. Ein geregelter und transparenter Umgang mit Interessenkonflikten gegenüber Studierenden existiert in Deutschland nicht.
Studierende werden durch ihre Universitäten zudem unzureichend oder gar nicht auf den Kontakt mit der Industrie vorbereitet. In einer Studie gaben 90 % der befragten Studierenden in Deutschland an, dass der angemessene Umgang mit und ein angemessenes Verhalten gegenüber Arzneimittelwerbung in ihren Vorlesungen nie angesprochen wurde.[5] Dabei zeigen Studien, dass Lehre über pharmazeutische Werbung sowie restriktive Regelungen von Interessenkonflikten auf der Ebene der Medizinischen Fakultät wirken. Sie erhöhen nachweislich die kritische Reflexion der Studierenden gegenüber der Angemessenheit von Marketingpraktiken in der Lernumgebung und haben Einfluss auf die spätere ärztliche Verschreibungspraktik der Studierenden.[6][7][8][9]
Was kann man also tun, um diese Situation zu ändern?
Zunächst einmal muss das Thema auf die Tagesordnung der Fakultäten gesetzt werden. Wie das funktionieren kann, haben bereits Initiativen aus den USA und Frankreich gezeigt (siehe INFOBOX).
INFOBOX
USA:
Bereits seit 2007 setzen sich Studierende in den USA für klare Richtlinien zu Interessenkonflikten an ihren Fakultäten ein. Die American Medical Students Association (AMSA) befragt in regelmäßigen Abständen Universitäten, ob und welche Richtlinien zu Interessenkonflikten an ihren Medizinischen Fakultäten bestehen. Alle vorhandenen Regelungen werden schließlich transparent bezüglich ihres Geltungsbereiches bewertet und in ein Ranking überführt (www.amsascorecard.com). Seit der ersten Veröffentlichung wurde das Ranking bereits zehnmal überarbeitet und aktualisiert. Es hatte eine große Resonanz in den amerikanischen Medien und hat einen großen Einfluss darauf, wie Interessenkonflikte an Medizinischen Fakultäten in den USA sowohl in der Öffentlichkeit als auch an den Fakultäten wahrgenommen und behandelt werden. Seitdem haben die Universitäten begonnen, zahlreiche Richtlinien zu verabschieden und durchzusetzen. Das Ranking ist öffentlich zugänglich und unterstützt Medizinische Fakultäten darin, klare Richtlinien in Kraft zu setzen.
Frankreich:
In Frankreich veröffentlichte eine Gruppe Studierender im Januar 2017 eine Studie, die die Interessenkonflikt-Regelungen und Lehrpläne medizinischer Fakultäten analysierte und bewertete. (Scheffer et al., 2017). Auch in Frankreich regelte nahezu keine Medizinische Fakultät Interessenkonflikte. Dieses Ergebnis sowie eine hohe mediale Aufmerksamkeit führten dazu, dass die französischen Medizinischen und Odontologischen Fakultäten im November desselben Jahres eine landesweit geltende Charter einführten, die viele Forderungen der Studierenden aufgreift.
Diese Beispiele haben uns inspiriert, ein ähnliches Projekt in Deutschland durchzuführen: Angelehnt an die Bewertungskriterien der französischen und amerikanischen Studierenden haben wir ein eigenes Punktesystem zur Bewertung der Medizinischen Fakultäten erstellt. Anschließend haben wir die Dekanate aller Medizinischen Fakultäten kontaktiert und bezüglich ihrer Regelungen und Lehrinhalte zu Interessenkonflikten befragt. Außerdem haben wir die Websites aller 38 deutschen Medizinischen Fakultäten nach standardisierten Stichworten für ihre Regelungen und Lehrinhalte untersucht. Nachfolgend haben wir auf der Grundlage unserer Ergebnisse und des von uns angepassten Punktesystems ein Ranking der Medizinischen Fakultäten erstellt.
Durch unsere Studie konnten wir zeigen, dass an den deutschen Medizinischen Fakultäten nur sehr wenige Maßnahmen zur Regelung von Interessenkonflikten ergriffen werden und das Thema auch in den Lehrplänen weitgehend vernachlässigt wird: Nur 2 der 38 deutschen Medizinischen Fakultäten konnten relevante Regelungen vorweisen. Keine der beiden adressierte alle Kategorien, die nach unserem standardisierten Bewertungssystem für eine ausreichende Maßnahme erfüllt sein mussten. Zudem wurden von keiner Fakultät auf unsere Nachfrage Lehrangebote zum Thema Interessenkonflikte zurückgemeldet.
Aber den Status quo aufzuzeigen und einen Handlungsbedarf durch unsere Studie zu belegen, ist nicht das einzige Ziel unserer Arbeit:
Im Oktober 2019 haben wir eine Konferenz für und mit Studierenden aus ganz Deutschland veranstaltet. Neben der intensiven Auseinandersetzung mit Interessenkonflikten haben wir ein Netzwerk aus Studierenden gegründet, die sich sowohl national als auch lokal an ihren Universitäten für den professionellen Umgang mit Interessenkonflikten einsetzen.
Dafür haben wir drei zentrale Forderungen formuliert:
- Ein erweitertes fächerübergreifendes Lehrangebot zu Interessenkonflikten in der Medizin.
- Eine konsequente Offenlegung von Interessenkonflikten von Dozierenden gegenüber Studierenden.
- Einen regulierten Rahmen für den Kontakt mit der Industrie auch für Studierende.
Viele Lösungsansätze aus Deutschland und Europa geben uns hier Hoffnung für die Zukunft: In Frankreich wurde mit einer nationalen Aufforderung an alle Fakultäten auf die Studie reagiert. In den USA konnten bei jeder Wiederholung des AMSA Rankings Verbesserungen an den Universitäten nachgewiesen werden.
Und auch in Deutschland gibt es einige Universitäten, die mit gutem Beispiel voran gehen: So hat zum Beispiel die Fakultät in Mainz einen speziellen Lehrplan zum Umgang mit der Industrie erarbeitet. Hier durchlaufen alle Studierende ein Curriculum, dass für Interessenkonflikte sensibilisiert und auf den professionellen Umgang mit der Industrie vorbereitet. Die wissenschaftliche Evaluierung der Lehre zeigt, dass Studierende danach mehr Wissen, eine kritischere Einstellung und in simulierten Situationen mehr Professionalität im Umgang mit Industrieinteraktion haben.
Seit Beginn unseres Projekts im Jahr 2017 arbeiten wir daran, enge Kontakte zu anderen Gruppen aufzubauen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. So arbeiten wir zum Beispiel mit verschiedenen Organisationen wie Transparency International und auch eng mit MEZIS zusammen. Von Anfang an war es uns wichtig, auch andere Studierende in unsere Arbeit mit einzubeziehen. So haben wir zum Beispiel einen Workshop entwickelt, den wir sehr erfolgreich mit Studierenden nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa durchgeführt haben. Außerdem haben wir mit der European Medical Students Association (EMSA) und der International Federation of Medical Students‘ Associations (IFMSA) zusammengearbeitet. Die EMSA hat im Mai 2019 ein Positionspapier zum Umgang mit Interessenkonflikten veröffentlicht, die IFMSA folgte mit einem Positionspapier im August 2019.
Auch in Deutschland gibt es also zahlreiche motivierte Akteure und Lösungsansätze. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese auch an den Medizinischen Fakultäten umgesetzt werden.
Autorinnen und Autoren

Peter Grabitz, Zoe Friedmann, Sophie Gepp, Leonard U. Hess, Lisa Specht, Maja Struck, Sophie Tragert
Sie sind ein Teil der AG Interessenkonflikte der Universities Allied for Essential Medicines (UAEM)
Alle erklären, keine Interessenkonflikte zu haben.
Fußnote
- (1) Lieb K, Koch C. (2013): Medical students’ attitudes to andcontact with the pharmaceutical industry: a survey at eightGerman university hospitals. Dtsch Arzteblatt Int.;110(35-36):584-90
- (2) correctiv.org. (2017): Nur jeder vierte Arzt legt Zahlungen offen,die er von Pharmafirmen erhält. correctiv.org/aktuelles/eurosfuer-aerzte/2017/07/14/nur-jeder-vierte-arzt-legt-zahlungenoffen-die-er-von-pharmafirmen-erhaelt/[cited 2019 Sep 21]
- (3) Ehringhaus, S. H. et al. (2008): Responses of Medical Schools to Institutional Conflicts of Interest. JAMA, 299(6), p 665-71
- (4) Cho, M. K. et al. (2000): Policies on Faculty Conflicts of Interest at US Universities. JAMA, 284(17) p 2203-8
- (5) Jahnke, K. et al. (2008): German medical students’ exposure and attitudes toward pharmaceutical promotion: a cross-sectional survey. GMS Z Med Ausbild, 31(3), Doc32
- (6) Kao, A. C. et al. (2011): Effect of educational interventions and medical school policies on medical students’ attitudes towardpharmaceutical marketing practices: a multi-institutional study. Acad Med J Assoc Am Med Coll, 86(11), p 1454-62
- (7) Larkin, I. et al. (2014): Restrictions on pharmaceutical detailing reduced off-label prescribing of antidepressants and antipsychotics in children. Health Aff (Millwood), 33(6), p 1014-23
- (8) King, M. et al. (2013): Medical school gift restriction policies and physician prescribing of newly marketed psychotropic medications:difference-in-differences analysis. BMJ. 31;346:f264
- (9) Epstein, A. J. et al. (2013): Does exposure to conflict of interest policies in psychiatry residency affect antidepressant prescribing? Med Care, 51(2), p 199-203
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