Scientific Freedom
Peter Gøtzsche hatte am 9. März 2019 zur Konferenz „Scientific Freedom“ in Kopenhagen eingeladen. Etwa 250 Interessierte kamen.
Peter Breggin, ein amerikanischer Psychiater, dessen Verdienst es ist, die Praxis der Verstümmelung psychisch Kranker durch Lobotomie erfolgreich bekämpft zu haben, eröffnete die Konferenz. Die Psychiatrie sei nicht mehr am Wohlbefinden der Patient*innen interessiert, sondern nur am Pharma-Marketing und Ruhigstellen von Menschen, die sozial nicht angepasst seien. Mit spezifischen Interventionen in die komplexe Struktur des Gehirns verschlimm-bessere die Psychiatrie die Situation des Betroffenen: „Psychiatry is a fake science to change behaviour“. Heilen dagegen erfolge durch die Gestaltung empathischer menschlicher Beziehungen.
Peter Whitaker, ein australischer Wissenschaftsjournalist berichtete von Einflussnahme, selektiver Publikation von Fakten und auch Zensur wissenschaftlicher Publikationen u.a. zu Antidepressiva. Die Interessen des Marktes und der Gilde der Psychiater*innen sei dabei gleichermaßen von Bedeutung.
Maryanne Demasi, eine Wissenschaftsjournalistin aus Australien, berichtete u.a. ihren persönlichen Fall. Sie hatte eine Dokumentation zum Geschäft mit Cholesterinsenkern realisiert und wurde danach heftig angefeindet, bedroht, und der TV-Beitrag wurde schließlich nicht mehr gezeigt.
Der englische Epidemiologe Tom Jefferson schilderte die Aufklärung des Vermarktungsprozesses von Tamiflu, die durch akribische Arbeit eines Cochrane Teams geleistet wurde. Bei der Zulassung war der überwiegende Teil der Originaldaten nicht berücksichtigt worden. Der Nutzen war dadurch überhöht und die Risiken unterschätzt worden. Mit seinen Kolleg*innen bemüht er sich derzeit auch in anderen Fällen um die Auswertung nicht veröffentlichter Daten.
Peter Aaby ein dänischer Anthropologe, berichtete von prospektiven Studien zu Routineimpfungen bei Kindern in Guinea Buissau. Problematisch sei, dass bisher keine Impfung durch RCT hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gesamtmortalität untersucht worden sei. In mehreren Studien der letzten zwei Jahrzehnte konnte seine Arbeitsgruppe starke nicht-spezifische Impfwirkungen nachweisen: Die Lebendimpfung MMR scheint über den Effekt des Schutzes gegen spezifische Infektionen zu einer günstigen Immun-Stimmulation geführt haben, die Anwendung des Totimpfstoffes gegen DTP sei dagegen mit einer erhöhten Mortalität insbesondere bei Mädchen verbunden gewesen. Die WHO habe diese mehrfach bestätigten Ergebnisse bisher ignoriert.
Kim Witczack, eine Angehörige eines an einer Medikamenten-Nebenwirkung Verstorbenen, berichtete von ihrem großen Engagement in der Selbsthilfe.
Peter Wilmshurst, ein englischer Kardiologe, beschrieb am Beispiel eigener Erfahrung, einen „Code of silence“ um „Whistleblower“ kaltzustellen.
Pam Popper, eine amerikanische Ernährungswissenschaftlerin und Unternehmerin zu schilderte Formen von Informationsunterdrückung und Fehlinformationen von Konsument*innen medizinischer Produkte.
David Hammerstein stellte das Netzwerk Common Network vor, welches sich für ein offenes Wissenschaftsmodell in der Medizin einsetzt. Statt dem ökonomischen Outcome (Harm / Benefit) sollte das Wohlbefinden der Patient*innen im Vordergrund stehen und das Vorsorgeprinzip Vorrang haben vor dem Interventionsprinzip. Peter Gøtzsche beschrieb abschließend das Vorhaben eine Stiftung zu „Scientific Freedom“ zu gründen. Die wesentliche Aufgabe wäre die kritische unbeeinflusste Überprüfung von Nutzen und Risiken medizinischer Interventionen.
Persönliche Einschätzungen
Die Veranstaltung bot interessante Einblicke in die Untiefen des Gesundheitsbusiness. Wissenschaftstheoretische Themen betrafen:
– die Notwendigkeit der unabhängigen Prüfung vollständiger, auch unveröffentlichter Datensätze bei der Zulassung von Medikamenten,
– die Notwendigkeit der Trennung von Wissenschaft und Markt,
– die Bedeutung der Untersuchung nicht-spezifischer Wirkungen,
– die Stärkung der Rolle der Betroffenen.
Mezis-Mitglieder und Konferenz-Teilnehmer*in:
Helmut Jäger
Gerrit Keferstein
Dörte von Drigalski
Hier finden Sie das Dokument auf englisch