Skip to main content

MEZIS / TI: „Lex Pharma“ – Vertraulichkeitsregeln im Medizinforschungsgesetz bevorzugen einseitig Pharmainteressen

Das Bundeskabinett hat Ende März 2024 den Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz verabschiedet. Darin heißt es unter anderem, dass auf Verlangen des Herstellers für ein neu zugelassenes Medikament die „Vertraulichkeit des Erstattungsbetrages“ zu vereinbaren ist. Das muss weder begründet, noch kann es abgelehnt werden. Welche Folgen diese Regelung für das Gesundheitssystem haben würde, wird nur einseitig erläutert. Transparency International Deutschland und die Ärzteinitiative „MEZIS – Mein Essen zahl‘ ich selbst“ fordern, dass diese Vertraulichkeitsklausel ersatzlos gestrichen wird.

Sie bevorzugt einseitig die pharmazeutischen Unternehmen und verhindert Transparenz darüber, wie die Pflichtmitgliedsbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung verwendet werden. Ebenfalls gestrichen werden muss die Regelung, dass keine Vergleichsdaten mehr über die verhandelten Medikamentenpreise in anderen europäischen Ländern vorgelegt werden müssen. Das bevorteilt bei Preisverhandlungen die Pharmahersteller gegenüber dem benachteiligten GKV-Spitzenverband. „Geheimhaltungsklauseln und Intransparenz sind Einfallstore für Machtmissbrauch und Korruption. Auch deshalb darf dem Druck der Pharmafirmen nicht nachgegeben werden“, so Rolf Blaga von Transparency International Deutschland.

Hintergrund
Die Vertraulichkeit von Rabatten ist auf dem Pharmagipfel der Bundesregierung im Dezember 2023 besprochen worden.[1] Abgesehen von der Regierungsspitze und der Pharmaindustrie waren weder Kostenträger noch andere Akteure des Gesundheitswesens, Verordnende wie die Ärzteschaft oder Patient*innen geladen. Das Versprechen der Pharmaindustrie: Wenn Erstattungsbeträge in Deutschland nicht mehr öffentlich sind, wären sie zu höheren Rabatten bereit und würden bisher ausgeschlossene Arzneimittel auf den Markt bringen. Denn das würde ihre Position in mehr als 30 Ländern stärken, die sich bei Preisverhandlungen bisher an den deutschen Erstattungsbeträgen orientiert haben. [2] Ob dieses Versprechen eingehalten wird, ist nicht garantiert. Das hängt beispielsweise davon ab, ob die Geheimhaltung von Erstattungsbeträgen in Deutschland die Ausnahme oder die Regel werden wird. Auch gibt es keine Analyse, ob und wie die gewinnorientierte Pharmaindustrie dieses Instrumentarium für weitere Zwecke nutzen könnte.[3] „Dieses Versprechen hilft Krankenkassen, Ärzten oder Patienten wenig, wohl aber den Aktionären“, so Dr. Niklas Schurig von MEZIS.

Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Warnungen vor negativen Auswirkungen der Geheimhaltung auf das Gesundheitswesen.[4] Wahrscheinlich ist, dass im restlichen Europa die Pharmafirmen höhere Arzneimittelpreise durchsetzen werden, wenn die deutschen nicht mehr als Referenz dienen können.

Vertraulichkeit von Erstattungsbeträgen für Medikamente ist das falsche Signal, denn fehlende Transparenz erhöht das Korruptionsrisiko und fördert das Misstrauen in etablierte Institutionen. Arzneimittel werden hauptsächlich aus den Pflichtmitgliedsbeiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Das waren in Deutschland 2022 fast 49 Mrd. Euro.[5] Diese Ausgaben müssen kontrolliert werden können. Es muss transparent sein, ob vereinbarte Erstattungsbeträge berechtigt sind, nicht zuletzt aus Gründen der Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedern der jeweiligen Krankenkasse. Durch das Gesetz würde nicht nur dem Gemeinsamen Bundesauschuss die wichtige Nutzenbewertung zur wirtschaftlichen Vergleichstherapie genommen. Es könnten zudem Ärzt*innen und Apotheker*innen nicht mehr die Kosten der von ihnen verordneten Medikamente zuverlässig abschätzen– ein Irrweg angesichts explodierender Arzneimittelausgaben.

Medikamentenpreise müssen darüber hinaus international transparent werden. Nur so lässt sich verhindern, dass Arzneimittel- oder Impfstoffhersteller Länder gegeneinander ausspielen oder unter Druck setzen. Das gilt vor allem für Notsituationen wie Pandemien, Katastrophen, Kriege oder Lieferengpässe.

Siehe auch:
Stellungnahme von Transparency International Deutschland e.V. zum Referenten-Entwurf für ein Medizinforschungsgesetz (MFG) https://www.transparency.de/aktuelles/detail/article/stellungnahme-zum-medizinforschungsgesetz

 

Quellen:
[1] MEDIZINFORSCHUNGSGESETZ: Zucker für die Pharmaindustrie? Thomas Trappe, Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health, 01.12.2023
[2] „Vertrauliche Erstattungsbeträge könnten Arzneimittelversorgung verbessern“, Daniel Erdmann (Director Market Access für Pfizer), Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health, 11.03.24
[3] Daniel Erdmann (Pfizer) sieht keinen Anreiz, sie für teure Arzneimittel mit Zusatznutzen einzufordern. Tim Szent-Ivanyi (Redaktionsnetzwerk Deutschland) spricht von einem „Lex Lilly“. Bliebe der Erstattungsbetrag für Medikamente geheim, könne man sie woanders teurer vermarkten. Das gilt auch für hochpreisige wie z.B. die Abnehmspritze von Lilly.
https://rnd.de/politik/das-lex-lilly-wie-karl-lauterbach-die-wuensche-von-pharmakonzernen-erfuellt-PL5FPR6FCFAPDHUFBEV2IJLIBE.html
[4] „Alle Krankenkassen, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) warnen in einem Schreiben an die Abgeordneten des Bundestags vor geheimen Medikamentenpreisen.“ Ärztezeitung 03.04.2024
https://www.aerztezeitung.de/Politik/Immense-Folgen-Kritikerfront-gegen-vertrauliche-Erstattungsbetraege-448474.html
[5] Ausgaben für einzelne Leistungsbereiche der GKV 2022, https://www.gkv-spitzenverband.de/service/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen/gkv_kennzahlen.jsp