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MEZIS Stellungnahme zum Konflikt Cochrane / Peter Gøtzsche

01.10.2018

Als ärztlich-professionelle Organisation, die sich der unabhängigen ärztlichen Fortbildung und Information verpflichtet sieht (MEZIS ist Teil der internationalen No-Free-Lunch-Bewegung) ist die Evidenz-basierte Medizin konstituierender Bestandteil unseres Selbstverständnisses.

Cochrane (ehemals Cochrane-Collaboration) als die maßgebliche Instanz für die Veröffentlichung unabhängiger Übersichten zur Evidenz medikamentöser und nicht medikamentöser medizinischer Maßnahmen war und ist uns hier unverzichtbare Hilfe: „Cochrane reviews are meant to be the last word in evidence based medicine“ (Hawkes 2018).

Daher erfüllt uns der derzeit in renommierten Fachzeitschriften ausgetragene und dokumentierte Konflikt zwischen dem Cochrane-Board und dem Cochrane-Gründungsmitglied Peter Gøtzsche mit tiefer Sorge.

Für die wissenschaftliche Autorität von Cochrane sind zwei Dinge von unverzichtbarer, existentieller Bedeutung: die Transparenz von Entscheidungs- und Bewertungsprozessen der Organisation und ihre absolute Unabhängigkeit von Denjenigen, deren Produkte oder Vorgehensweise Thema von Cochrane-Bewertungen waren, sind oder sein könnten – beide Werte sehen wir in der aktuellen Situation in größter Gefahr.

 

Transparenz

Der Beschluss des Boards, Peter Gøtzsche auf der Vorstandssitzung vom 13.09.2018 mit knappestmöglicher Mehrheit die Mitgliedschaft in Cochrane zu entziehen, wurde vom Board selbst bis zum heutigen Tage nicht öffentlich transparent begründet. Dass bei einem Konflikt, der international ausgetragen, wahrgenommen und kommentiert wird, der Cochrane-Vorstand in seinen diesbezüglichen Veröffentlichungen bis heute Peter Gøtzsche nicht namentlich nennt und weitere, für die Nachvollziehbarkeit des Prozesses unentbehrliche Détails mit dem Hinweis auf zu schützende Persönlichkeitsrechte verweigert (Cochrane Governing Board 2018), lässt in uns Zweifel aufkommen, ob die Notwendigkeit maximaler Transparenz gerade in diesem Fall begriffen wurde. Auch das Löschen des Minderheitenvotums der nach der Abstimmung zurückgetretenen Vorstandsmitglieder (Gartlehner 2018) von der Cochrane-Internetseite weckt diesbezüglich ernste Befürchtungen.

Wir fordern von Cochrane, den gesamten Entscheidungsprozess dieses umstrittenen Ausschlusses mit der bis jetzt Cochrane-typischen Akribie und Transparenz öffentlich zu dokumentieren – dazu gehört z.B. auch die ungekürzte Veröffentlichung jenes juristischen Gutachtens, auf das der Vorstand sich in seiner Entscheidung zu stützen behauptet und die Stellungnahme derjenigen Vorstandsmitglieder, die als Reaktion auf den Ausschluss ihr Amt niederlegten.

Unabhängigkeit

Es irritiert uns zutiefst, dass bei einem nach Angaben des Boards jahrelang schwelenden Konflikt wegen wiederholten „bad behaviours“ Gøtzsches, das die offizielle Begründung für den Ausschluss ist, dieser Ausschluss gerade dann erfolgt, wenn der Beschuldigte eine international ernst genommene, massive Kritik an einer zentralen Veröffentlichung Cochranes publiziert (Jørgensen 2018). Dass hier nicht nur von unserer Seite Zweifel an der behaupteten reinen Koinzidenz beider Vorgänge und die Befürchtung einer zumindest Co-Kausalität entstehen, ist unvermeidbar und wäre, wenn diese Zweifel nicht vollständig und überzeugend ausgeräumt werden, ein katastrophales Signal. Die Exkommunikation Andersdenkender ist kein Mittel der Auseinandersetzung in der Medizin des 21. Jahrhunderts.

Wir sehen mit Sorge, dass Cochrane mit Gøtzsche eines seiner Gründungsmitglieder ausschließt, das sich seit langem vehement (und unbequem) für die auch in unseren Augen notwendige strikte Abgrenzung der Organisation gegen Interessen vor allem der pharmazeutischen Industrie eingesetzt hat und fürchten mit den Herausgebern des BMJ, dass der eigentliche Konflikt Cochrane/Gøtzsche auch wesentlich eine „deep seated difference of opinion about how close to industry is too close“ (Godlee 2018) beinhaltet.

Mittlerweile liegt eine Stellungnahme des Deutschen Cochrane Zentrums durch seinen Leiter Gerd Antes vor (Antes 2018). Antes bringt das Kernproblem bereits im zweiten Satz seines Artikels auf den Punkt: „Fakten sind auffallend dürftig und extrem widersprüchlich“. Wenn es eine internationale Organisation gibt, deren Selbstverständnis der Kampf gegen genau diese Situation ist, dann war das bisher Cochrane – es ist erschreckend und zutiefst beunruhigend, dass diese Zuschreibung aus berufenem Mund jetzt den Zustand und die Handlungsweise von Cochrane selbst offenbar treffend charakterisiert. Antes selbst nennt den Ausschluss Gøtzsches „unangemessen“, den Rücktritt fast der Hälfte der Vorstandsmitglieder ein „klares Bekenntnis zu Grundprinzipien von Cochrane und daher geradezu zwingend“, und sieht durch das Verhalten des Vorstands „… in schädlicher Weise die Vorwürfe bestätigt, dass Cochrane sich von seinen Zielen entfernt und Grundprinzipien wie Transparenz und Integrität auf Leitungsebene aushöhlt“.

Wir rufen Cochrane auf, den Ausschluss Peter Gøtzsches bis zur unabhängigen und vollständigen Aufklärung aller Aspekte dieses Prozesses zurückzunehmen, zumindest aber als vorläufig zu deklarieren.

Wir halten es in diesem Zusammenhang für hochproblematisch, dass Cochrane zu seinen Förderern mittlerweile z.B. die Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) zählt (Cochrane 2016), die auf der einen Seite global Impfungen – die immer wieder Gegenstand von Cochrane Reviews waren – uneingeschränkt propagiert und fördert (BMGF 2018) und sich auf der anderen Seite selber nicht unerheblich über Aktien auch pharmazeutischer Unternehmen finanziert (Global Justice 2017).

In einer Zeit, in der auch internationale Gesundheitsorganisationen wie die WHO zunehmend in finanzielle Abhängigkeit von privaten Sponsoren geraten (Kruchem 2017, Tagesanzeiger 2013), in der Mitarbeiter von Regierungsstellen wie der US-amerikanischen FDA im Verdacht stehen, nach ihrem Ausscheiden für vermeintlich im Amt geleistete Gefälligkeiten bezahlt zu werden (Piller 2018), in der die Evidenz-basierte Medizin sich täglich neu dagegen wehren muss, von der pharmazeutischen Industrie gekidnappt zu werden (Ioannidis 2016), war Cochrane bis jetzt hochnotwendiger Orientierungspunkt und unangefochtene Instanz und Autorität.

Wir fordern das Cochrane-Board auf, dafür Sorge zu tragen, diese von vielen seiner internationalen Mitstreiter hart erarbeitete Position Cochranes nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen – vollständige Transparenz und absolute Unabhängigkeit müssen auch zukünftig eherne Grundprinzipien ihrer Arbeit bleiben.

Ansprechperson:
Bei Fragen oder dem Wunsch nach weiteren Informationen können Sie sich gerne an Dr. Steffen Rabe wenden. Er ist langjähriges MEZIS Mitglied und Autor der Stellungnahme.
Sie erreichen ihn unter Tel. 089- 89217911, bzw. über seine E-Mail-Adresse:

 

Literatur

Antes G (2018) Cochrane in den Medien: Erläuterung der Widersprüche und Konflikte. www.cochrane.de/de/news/erlaeuterung-der-widersprueche-und-konflikte. [Zugriff 28.08.2018]

BMGF (2018) What we do. www.gatesfoundation.org/What-We-Do. [Zugriff 20.09.2018]

Cochrane Governing Board (2018) Statement made by the Governing Board at Cochrane’s 2018 Annual General Meeting, 17th September, at the Edinburgh Cochrane Colloquium. community.cochrane.org/news/statement-cochranes-governing-board. [Zugriff 24.09.2018]

Cochrane (2016) Cochrane announces support of new donor. www.cochrane.org/news/cochrane-announces-support-new-donor. [Zugriff 25.09.2018]

Gartlehner G (2018) Why we resigned. cochrane.org/news/why-we-resigned. [Zugriff 17.09.2018]

Global Justice (2017) Gated Development – Is the Gates Foundation always a force for good?. www.globaljustice.org.uk/sites/default/files/files/resources/gjn_gates_report_june_2016_web_final_version_2.pdf. [Zugriff 25.09.2018]

Godlee F (2018) Reinvigorating Cochrane. BMJ; 362:k3966

Hawkes N (2018) HPV vaccine safety: Cochrane launches urgent investigation into review after criticisms. BMJ; 362:k3472.

Ioannidis JP (2016) Evidence-based medicine has been hijacked: a report to David Sackett. J Clin Epidemiol.;73, pp. 82-6.

Jørgensen L. (2018) The Cochrane HPV vaccine review was incomplete and ignored important evidence of bias. ebm.bmj.com/content/ebmed/early/2018/07/27/bmjebm-2018-111012.full.pdf. [Zugriff 13.09.2018]

Kruchem T (2017) Was gesund ist, bestimmt Bill Gates. www.deutschlandfunkkultur.de/weltgesundheitsorganisation-am-bettelstab-was-gesund-ist.976.de.html?dram:article_id=385853. [Zugriff 24.09.2018]

Piller C (2018) Hidden conflicts? Science; 361, pp. 16-20.

Tagesanzeiger (2013) Bill Gates dominiert zunehmend die WHO. www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/Bill-Gates-dominiert-zusehends-die-WHO/story/22876064. [Zugriff 24.09.2018]

Download der Stellungnahme

2018