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MEZIS Fachtagung 2022

„Markt.Macht.Daten. – Kann Medizin noch Mensch?“
  • „Bonner Appell“
  • Verleihung des MEZIS Awards

    24.–26. Juni 2022 in Bonn

MEZIS Fachtagung und Mitgliederversammlung 2022

„Markt.Macht.Daten. – Kann Medizin noch Mensch?“

24.–26. Juni 2022

Programm-Faltblatt

„Der Mensch muss im Mittelpunkt der Medizin bleiben!“

MEZIS Fachtagung „Markt.Macht.Daten. – Kann Medizin noch Mensch?“ vom 24.-26.06.22 in Bonn verabschiedet „Bonner Appell“

Unser Gesundheitswesen ist im Wandel: Digitalisierung und Ökonomisierung bringen Grundwerte ärztlichen Handelns in Gefahr. Neben pharmazeutischen Unternehmen und Tech-Konzernen drängen zunehmend auch die Politik und die Medien als „Player“ auf den Gesundheitsmarkt. Was macht das mit der Rolle und Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte? Wie können Ärztinnen und Ärzte das Vertrauensverhältnis zu ihren Patientinnen und Patienten schützen?

Im Rahmen unserer Fachtagung beschäftigten wir uns mit den neuen Herausforderungen in der Medizin. Bereits in der Podiumsdiskussion am Freitagabend wurde das Spannungsfeld ersichtlich: Einerseits kann die fortschreitende Digitalisierung der Medizin große Chancen in der Versorgungs- und Anwendungsforschung bieten, die auch dringend zur Überwachung von neuen Medikamenten und Therapien gebraucht wird. Das Podium, bestehend aus Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Dr. med. Leonor Heinz, Beisitzerin im Bundesvorstand des Hausärzteverbandes, Erika Feyerabend, Soziologin, und Detlef Borchers, Journalist, erörterte aber auch die andere Seite: mögliche Einfallstore zum Datenmissbrauch für Konzerne der Pharma- und Technologiebranche mit hohem Schadenspotenzial.

Am Samstag und Sonntag hatten wir zahlreiche weitere Ärztevereinigungen und Akteur:innen des Gesundheitswesens geladen. In 14 Workshops und einem „Markt der Möglichkeiten“ widmeten sie sich einem breiten Themenspektrum: Von der Arzneimittelpreisentwicklung, über die Versorgung von Migrant:innen und notwendige Paradigmenwechsel in der Medizin und im Gesundheitswesen, Einflussnahmen in der Selbsthilfe bis hin zu Einfallstoren für Korruption und Problemen der globalen Gesundheitsversorgung in der Corona-Pandemie.

Als Ergebnis der Fachtagung formulierten die Fachtagungsteilnehmenden gemeinsame Thesen zur Ausgestaltung unseres zukünftigen Gesundheitswesens im „Bonner Appell“. Dieser soll ein starkes Signal aus der Ärzteschaft senden.

MEZIS Award „Goldenes Zäpfchen“ 2022

Anlässlich des 15jährigen Jubiläums haben wir im Rahmen der MEZIS Fachtagung erstmalig den Negativpreis „Goldenes Zäpfchen“ für besonders dreiste Beispiele von Einflussnahmen und Profitstreben im Gesundheitswesen verliehen.

In der Kategorie „Lobbyarbeit summa cum laude“ ging der Preis an den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), dem es in den letzten Jahren hervorragend gelungen ist, die Interessen seiner Mitglieder in politischen Entscheidungsprozessen zu platzieren. „Lobbyismus im Gesundheitssektor gefährdet Menschenleben durch Hochpreispolitik, Patentkriege und gewinngetriebene Forschung bei vorzugsweise lukrativen Erkrankungen“, führt Prof. Dr. Dominikus Bönsch, Vorstandsmitglied von MEZIS, in seiner Laudatio aus.
Hier geht es zur Laudatio.

In der Kategorie „Sponsor maximus“ wurde der Preis dem Fortbildungsportal ESANUM verliehen, das wiederholt wegen seiner mit hohen Sponsoringsummen der pharmazeutischen Industrie finanzierten Ärztefortbildungen kritisiert wurde. Dr. Niklas Schurig, ebenfalls MEZIS-Vorstandsmitglied, erklärt in seiner Laudatio das Geschäftsmodell: „Die Firmen zahlen diese Summen nicht für den Stand, sondern für den Zugang zu den Köpfen der dort versammelten Kolleginnen und Kollegen“.
Hier geht es zur Laudatio. 

In der Kategorie „Blockbuster supreme“ ging das erste Goldene Zäpfchen an die Firma Bayer für ihr Präparat Xarelto. MEZIS-Vorstandsmitglied Manja Dannenberg schildert in der Begründung den Siegeszug dieses Medikamentes zur Blutverdünnung, der vor allem auf ein gelungenes Marketing der Herstellerfirmen, nicht jedoch auf einen überzeugend nachgewiesenen Behandlungsvorteil zurückzuführen ist. Xarelto findet sich 2021 auf Platz 4 der umsatzstärksten Medikamente in Deutschland. „Eine erschütternde Tatsache!“, so Manja Dannenberg.
Hier geht es zur Laudatio.


Workshops – Teil I: Samstag, 25.6., 14 – 15:30 Uhr


Ausgeschlossen vom Markt, machtlos, ohne Daten – Wirklichkeiten in der Beratung von Geflüchteten

Referentinnen: Dr. med. Gisela Volck, Mareike Weibzahl
Inhalt/Ergebnis:
Die Teilnehmer:innen des Workshops beschäftigten sich mit dem Medizinmodell Thure von Uexkülls und dessen Bedeutung für die ärztliche Praxis. Außerdem mit der Frage: Wie ist integrierte Arbeit heute noch möglich angesichts der vorherrschenden ökonomischen Rahmenbedingungen?
Krankheiten beinhalten biologische, soziale und psychische Ebenen. Wenn Ärzt:innen nur auf eine Ebene ausgerichtet sind, können sie die Einflussfaktoren der Krankheit nicht kennen, erfassen, lindern oder heilen. Das geht mit der Gefahr der Chronifizierung, des Symptom-Wandels oder der Verschlechterung des Krankheitszustandes einher.
Das traditionell rein naturwissenschaftliche Modell der Medizin bietet die Grundlage für eine unpersönliche Behandlung, bei welcher nur die Symptomatik, aber nicht die Ursache behandelt wird.
Ein Paradigmenwechsel hin zu einer beziehungsorientierten Medizin, bei der der Mensch und sein individuelles Erleben im Zentrum stehen. wird als notwendig erachtet. Als Lösungsansatz bietet sich hier an, das eigene Spektrum zu erweitern und die Menschen und Patient:innen in seiner Ganzheit zu betrachten.

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Ziel einer universellen Gesundheitsversorgung – Ergebnisse einer Länderstudie in Südafrika, Ghana und Peru

Referentin: Claudia Jenkes
Inhalt/Ergebnis:
Der Workshop beleuchtete die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheitssysteme und die Gesundheitsversorgung exemplarisch für die drei Länder Südafrika, Ghana und Peru. Bereits bestehende Versorgungslücken bei vielen weit verbreiteten Krankheiten haben sich deutlich vergrößert, auch angesichts einer globalen Pandemie konnte keine gerechte globale Verteilung von Medikamenten, medizinischer Ausrüstung oder von Impfstoffen realisiert werden. Zudem haben viele der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, vor allem Lockdown-Maßnahmen, verheerende soziale und gesundheitliche Auswirkungen.
Die Teilnehmenden des Workshops diskutierten über die Schwächen der globalen, aber auch der deutschen Gesundheitspolitik. Durch die Corona Krise hat sich der weltweite Standard der Gesundheitsversorgung noch weiter verschlechtert, Risikogruppen hatten und haben darunter besonders zu leiden. Durch die Überlastung der Gesundheitssysteme konnten erheblich weniger Menschen behandelt werden, eine höhere Sterberate und eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes waren die Folge, auch in Deutschland. In Ländern wie Ghana zeigte sich die Überlastung beispielsweise darin, dass keine Kapazitäten mehr für andere Vorsorgeuntersuchungen vorhanden waren und keine Impfungen etwa gegen Polio oder Masern mehr stattfinden konnten. Eine ähnliche Problematik zeigt sich auch in Peru. Zudem haben sehr viele Menschen zusätzlich mit seelischen Einschränkungen zu kämpfen. Ein ausreichendes Angebot zur Psychotherapie besteht nicht.
Die BUKO Pharma-Kampagne liefert hier einen möglichen Lösungsansatz: Gesundheitsprävention muss ausgebaut, personelle Kapazitäten gestärkt, das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und die Armut bekämpft werden.

Interessenkonflikte bei deutschen Leitlinienautoren: Licht und Schatten

Referent: Prof. Dr. Thomas Lempert
Inhalt/Ergebnis: 
Die Plattform Leitlinienwatch bewertet Interessenkonflikte (IK) bei deutschen Leitlinienautor:innen und deren Regulierung. Sie hat bereits über 250 deutsche Leitlinien analysiert. Es sind Verbesserungen im Umgang mit IKs erkennbar, eine kritische Begleitung bleibt notwendig.
Die medizinischen Leitlinien in Deutschland sind rechtlich nicht verbindlich, aber klinisch unverzichtbar. Sie werden von der AWMF koordiniert und von Fachgesellschaften erstellt. Es gibt 750 Leitlinien in drei Stufen. Die erste Stufe ist der informelle Expert:innenkonsens, die zweite Stufe stellt den Schwerpunkt auf breiter Konsensbildung und systematischer Literaturrecherche dar. Die dritte Stufe umfasst den breiten Konsens und die systematische Recherche.
Hierbei ergibt sich die Problematik, dass viele Leitlinien mit hohen Geldflüssen einher gehen und damit nicht unabhängig und frei von IKs sind. Fachliche Urteile und Bewertungen müssen jedoch neutral sein.
Die AWMF hat 2018 zwar neue Regeln im Umgang mit IKs bei Leitlinienautor:innen festgelegt, welche eine bessere Erfassung der Geldbeträge, eine unabhängige Bewertung der IKs sowie die Graduierung von IKs und ihrer Konsequenzen beinhalten. Doch diese weisen Lücken auf. Es fehlen Bewertungskriterien für die Schwere von IKs, die Rekrutierung unabhängiger Autor:innen oder externe Rewiews.
Die Teilnehmenden des Workshops sind zu dem Fazit gekommen, dass Leitlinienautor:innen völlig unabhängig von den Herstellern der zu bewertenden Produkte sein müssen. Eine transparente Offenlegung der IKs ist hierbei nicht ausreichend. Die Autor:innen mit IKs dürfen keinen Einfluss auf Empfehlungen haben. Zudem sollten hochwertige Leitlinien dokumentieren, wie diese erreicht wurden. Für die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) beispielsweise ist die Schaffung einer Rekrutierungsoffensive für unabhängige Leitlinienautor:innen der wichtigste Schritt.

Gesundheitswesen im Umbruch – mehr Ökonomisierung oder endlich sinnvolle Strukturen? (vdää) & „Patente und hohe Arzneimittelpreise“ (PHM D)

Referent:innen: Dr. Christiane Fischer, Dr. phil. Nadja Rakowitz, Dr. Bernhard Winter 
Inhalt/Ergebnis:
Der ambulante und stationäre Sektor des Gesundheitswesens unterliegt seit Jahrzehnten einem Prozess der Ökonomisierung. Die Einführung der DRG (Diagnosis Related Groups) und die Konkurrenz auf dem „Krankenhausmarkt“ bewirkten einen Umbau der Krankenhäuser zu Fabriken. Die Situation ist für Beschäftigte (und Patient:innen) so unerträglich, dass es viel Widerstand, Proteste und Streiks gibt. Die Politik hat mit der Herausnahme der Pflege aus den DRG bereits darauf reagiert. Die aktuelle Regierung diskutiert über die Herausnahme der Pädiatrie und der Geburtshilfe. Das Gebäude der DRG wackelt also gewaltig und außerdem hat die Politik die Bedarfsplanung wiederentdeckt. Auch der ambulante Sektor ist seit einigen Jahren Objekt von Interessen von Kapitalinverstor:innen. Einerseits kaufen Krankenhauskonzerne Arztpraxen auf, andererseits kaufen Private Equity Fonds lukrative Facharztpraxen und gründen MVZ-Ketten. Das große Kapital macht sich breit. Aber es gibt auch hier Gegentendenzen: In verschiedenen Städten gründen sich Poliklinikprojekte und Parteien überlegen, den ambulanten Sektor sinnvoller zu strukturieren und organisieren.
Die Workshop-Teilnehmenden analysierten die Folgen der Einführung des DRG-Systems für die Versorgung in Kliniken. Es lässt sich ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen, aber auch der Mortalität erkennen. Die Teilnehmenden diskutierten weiterhin Maßnahmen für eine notwendige Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft in Deutschland. Sie fordern eine verbesserte Bedarfsorientierung des Gesundheitswesens. Weiteres Fazit: Unser Gesundheitssystem muss neu reformiert und entprivatisiert werden und sich nicht mehr von kapitalistischen Ansätzen leiten lassen.
Im Rahmen des Workshops wurden außerdem die Auswirkungen des Patentrechtes auf die Arzneimittelpreisbildung dargestellt. 

Workshops – Teil II: Samstag, 25.6., 16 – 17:30 Uhr


Frauengesundheit braucht weniger Geschäft, weniger Herrschaft, mehr soziale Gerechtigkeit

Referentin: Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser
Inhalt/Ergebnis:
Die Teilnehmer:innen widmeten sich den spezifischen Problemstellungen im Bereich der Frauengesundheit.
Im Laufe des Workshops erarbeiteten sie einen Maßnahmenkatalog, der eine bessere Berücksichtigung der Bedürfnisse von Frauen in der Gesundheitsversorgung ermöglichen soll.
Zunächst erschien es den Teilnehmenden notwendig, vermehrt die Perspektive von Patientinnen einzunehmen und dadurch deren spezifische gesundheitliche Fragestellungen besser nachvollziehen zu können. Zudem bedarf es einer stärkeren Einbindung von nicht-ärztlichen Professionen (wie Hebammen oder Pflegepersonal). Weiter ist auf eine stärkere Vernetzung von Organisationen und Vereinen mit entsprechenden Schwerpunkten in der Frauenmedizin zu setzen. Dies ermöglicht auch eine höhere Sichtbarkeit bei dem Betreiben medialer Kampagnen, die auf die Missstände in der Gesundheitsversorgung im Allgemeinen und in der Frauengesundheit im Besonderen hinweisen.
Eine weitere essenzielle Maßnahme ist die gezielte Datenerhebung und Erstellung von Studien anhand von Fragestellungen, die eine tatsächliche Relevanz für die Gesundheitsfragen von Patientinnen haben.
Nur so ist Forschung von gesellschaftlich relevanten Themen möglich. Dabei ist sicherzustellen, dass dies durch unabhängige Forschende geschieht, die keine persönlichen oder beruflichen Vorteile durch bestimmte Forschungsergebnisse generieren können.

Wir sind der Wandel – Brainstorming für ein menschlicheres Gesundheitssystem.

Referent: Lukas Breunig
Inhalt/Ergebnis
Bunte Kittel kämpft für ein Gesundheitssystem, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Kampagne positioniert sich klar für eine Abschaffung der Vergütung durch Fallpauschalen und ist der Überzeugung, dass Wandel aus dem Gesundheitssystem heraus bewirkt werden kann, wenn ihn alle Berufsgruppen gemeinsam einfordern. 
Die Workshop-Teilnehmenden widmeten sich der Frage, wie eine ideale Gesundheitsversorgung aussehen könnte? Sie entwarfen gemeinsam eine Gesundheitsutopie. Davon ausgehend beantworteten sie die folgende Fragen: Welche Aspekte der aktuellen Gesundheitsversorgung belasten unsere Patient:innen und uns Ärzt:innen am meisten? Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf? Wie können wir unserer idealtypischen Gesundheitsversorgung konkret näherkommen?
Der interaktive Workshop eröffnete einen großen Imaginationsrahmen und lies viel kreatives Denken zu. Von dort wurde eine Brücke zur Realität geschlagen und erörtert, welche Maßnahmen konkret nötig sind, um wichtige Schritte hin zu einer menschlicheren Gesundheitsversorgung zu übernehmen. Die Teilnehmer skizzierten wesentliche Prinzipien und Grundlagen eines zukünftigen verbesserten Gesundheitssystems. Kleine Schritte dieser Vision lassen sich sofort in unserer alltäglichen Arbeit umsetzen.

Robotik in Medizin und Pflege

Referentin: Prof. Dr. Gabriele Meyer
Inhalt/Ergebnis: 
Der Workshop befasste sich mit dem Einsatz robotischer Lösungen in Medizin und Pflege. Durch die stetig wachsende Digitalisierung vor allem in der Pflege ergeben sich ethische Fragestellungen, die kritisch zu beleuchten sind. Diskutiert wurde unter anderem die Frage nach der Datensicherheit, die Einstellung offizieller Stellen (z.B. Ethikrat) zu robotischen Systemen in der Pflege sowie der Fluss hoher Fördergelder in Forschung und Entwicklung.
Hauptkritikpunkt war, dass der Mensch aus dem Fokus rückt: Statt Probleme aus dem Pflegealltag in Fragestellungen zu übersetzen und Lösungsansätze durch die Forschung zu entwickeln, die zum Nutzen und Wohle der Pflegebedürftigen gereichen, scheint es in diesem Bereich umgekehrt zu sein: Millionen an Fördergeldern werden dazu genutzt, im Pflegealltag Anwendungsszenarien für bereits existierende Robotik zu finden. Damit wird für eine bereits bestehende Lösung ein passendes Problem gesucht. 
Kritisiert wurde zudem das Narrativ, die Robotik könne zusätzlich den bestehenden Pflegepersonalmangel lösen. Mit Blick auf den derzeitigen Reifegrad der Systeme zeigt sich deutlich, dass diese in absehbarer Zeit nicht praktikabel im Alltag eingesetzt werden können. Grundsätzlich ist eine kritisch-reflexivere Auseinandersetzung mit dem Thema erforderlich. Dabei müssten sich die beteiligten Akteur:innen über deren jeweilige Kernaufgaben verständigen und sich fragen, wie in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich Robotik sicher und zum Wohle der Patient:innen eingesetzt werden kann.
Weitere Punkte waren die Frage der Evidenz, denn Robotik müsse stets indikationsspezifisch untersucht werden, und die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen, ob und in welchen Bereichen sie den Einsatz robotischer Lösungen wünschen .

„Wo Problem? Nix verstehn!“ – Herausforderungen durch fremdsprachige Patient:innen in der täglichen Praxis niedergelassener Ärzt:innen

Referentin: Dr. Gisela Penteker
Inhalt/Ergebnis:
Die Teilnehmenden des Workshops stellten praktische und bürokratische Probleme und Hürden bei der Versorgung von Migrant:innen zusammen. Dabei hat sich gezeigt, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung in Deutschland regional sehr unterschiedlich und oft auf das Engagement kleinerer Initiativen zurückzuführen ist. Aufgrund von Sprachbarrieren und kultureller Vielfältigkeit sind andere Kommunikationsebenen wichtig, für die Ärzt:innen besser ausgebildet sein sollten. Die eigene Einstellung zu Migrant:innen spielt eine entscheidende Rolle.
Etwa 27 % der deutschen Bevölkerung 2020 haben einen Migrationshintergrund. Der Großteil stammt aus der Türkei, Polen und Russland, darunter vor allem Studierende, ausländische Ehepartner:innen oder Flüchtlinge. Die Anerkennung von Asyl ist mit vielen Hürden und Zeit verbunden, in welcher die Antragstellenden kaum agieren können. Außerdem sind die Geflüchteten mit vielen Barrieren konfrontiert, wenn sie gesundheitliche Versorgung benötigen. Diese Umstände werden besonders bei psychischen Erkrankungen der Geflüchteten manifest. Eine unbehandelte seelische Störung behindert den Spracherwerb und die soziale Integration. Dies führt bis zur Suizidalität, Suchtverhalten oder Gewalt, besonders im nahen Umfeld.
Die Politik ist gefordert, obenstehende Problematik zu minimieren: Jeder Migrant soll von Anfang an eine Versicherungskarte erhalten. Die Übernahme von Dolmetscherkosten muss gewährleistet und barrierefrei sein. Die Abschaffung von Sondergesetzen wie das AsylblG ist notwendig.

Transparenz und Unabhängigkeit in der Selbsthilfe

Referent: David Brinkmann
Inhalt/Ergebnis:
Im Rahmen des Workshops werden die verschiedenen Ebenen und Formen von Selbsthilfe vorgestellt. In Deutschland existieren rund 100.000 Selbsthilfegruppen, davon etwa 300 Selbsthilfevereinigungen auf Bundesebene und 300 örtliche Selbsthilfeunterstützungseinrichtungen. Die NAKOS hat rund 1.350 Themen der Selbsthilfe erfasst.
Die Selbsthilfegruppen und Initiativen brauchen eine belastbare Finanzierungsgrundlage für ihre Arbeit. Dies macht sie anfällig für Einflusssphären Dritter, insbesondere Gesundheitsunternehmen. Als größte Einnahmequelle für eine unabhängige seriöse Selbsthilfegruppe zählen Eigenmittel wie Erlöse und Mitgliedsbeiträge, Spenden- und Bußgelder sowie Finanzmittel der GKV.
Eine konkrete Betrachtung ist jedoch trotz der Transparenz, die vielerorts herrscht, dringend von Nöten. Dadurch müssen seitens der Selbsthilfevereinigung möglichst klare Leitlinien für Kooperationen mit Dritten kommuniziert werden und eine lückenlose Datenlage geschaffen werden.
Im Workshop wurde diskutiert, welche Problematiken und Herausforderungen die Teilnehmenden in der Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen sehen, welche Hindernisse es gibt, um eine unabhängige Gruppierung zu bilden und wie präsent die Selbsthilfevereinigungen für Mediziner:innen sind.
Eine unabhängige Vernetzung, sowie eine Bestandsaufnahme bundesweiter Selbsthilfeinitiativen, als auch begleitende Beratung und die wo mögliche Umsetzung eines autonomen „Gütesiegels“ für Transparenz und Unabhängigkeit wäre im Sinne seriöser Selbsthilfegruppierungen. Das Bewusstsein für Transparenz und mögliche Einflussnahmen muss größtenteils noch gefördert und mehr Orientierungshilfen für Akteure in der Selbsthilfe geschaffen werden.

Workshops – Teil III: Sonntag, 26.6., 9 – 10:30 Uhr


Kann Medizin noch Mensch – Mensch mit kognitiven Einschränkungen – Alzheimer-Demenz

Referent: Heidrun Mildner
Inhalt/Ergebnis:
Anhand der 10 Menschenbild-Thesen von Viktor Frankl werden neue Wege zum Umgang mit kognitiv eingeschränkten Menschen vorgestellt und erörtert. Diese besagen, dass jeder Mensch in seiner Geisteshaltung einzigartig ist, ein Individuum darstellt und eine Einheit bildet. Viktor Frankl greift auch die von Sigmund Freud aufgestellte These des triebhaften „Es“ in unserer Persönlichkeit auf und differenziert Menschen als (Selbst-)bewusste Wesen von Tieren.
Im Laufe des Workshops wurde weiterhin über die genannten Thesen und Gedankenimpressionen bezüglich des Menschenbildes gesprochen und diese auf Demenz umgewandelt und aufgearbeitet. Ziel ist es, Demenz besser zu verstehen und Betroffene zu unterstützen. Hierfür werden auch die 10 Grundsätze der Validation nach Naomi Feil aufgegriffen, welche zusammengefasst einen Leitfaden für den Umgang mit Demenz- und Alzheimererkrankten vorgeben. 
Essentiell für Demenzerkrankte ist, empathisch zu reagieren und sie zu respektieren. Dazu gehört, ihre Würde aufrecht zu erhalten und ihnen die Angstzustände, die ihr valider Geist mit sich bringt, zu verringern. Dazu gehört auch, die zum Teil sehr intensiven Gefühle der Patient:innen behutsam und rücksichtsvoll zuzulassen. Mit diesem emotionalen Wissen ist es möglich, die Folgen der Demenz für alle Betroffenen auf ein deutlich angenehmeres Level zu heben.

Impfentscheidungen im Spannungsfeld zwischen von Politik, Markt und Person

Referent: Dr.med. Stefan Schmidt-Troschke
Inhalt/Ergebnis:
Im Workshop wurde das komplexere Geflecht versuchter Einflussnahmen auf Impfempfehlungen und -entscheidungen skizziert. Im Gegensatz zu medikamentösen Behandlungen nehmen bei Impfungen auch Staat und Politik Einfluss. Weiterhin diskutierten die Teilnehmenden die Transparenz der Ständigen Impfkommission. Gefordert werden Karenzzeiten für Lobbyisten vor dem Wechsel in die STIKO und die Einbindung der Zivilgesellschaft in dieses Gremium. Die Teilnehmer unterstreichen die Notwendigkeit von breiter Beobachtungsforschung bei der Anwendung von Impfungen und die Einführung eines Impfregisters.

Welche Chancen bieten sich für „gute, integrierte“ Medizin in einem kommerziell-digital-politisch bestimmten und unaufhaltsam wachsenden Markt?

Referent:innen: Dr. Helmut Jäger
Inhalt/Ergebnis:
Das Geschäft rund um Krankheit und Gesundheit wird zunehmend von neuen Marketing-Strategien bestimmt, wie Disease Interception (Risiko bei Gesunden definieren und dann beseitigen), „Value based/kind health care“ (Vermarktung von Vertrauen, gutem Gefühl, Placebologie), Doctor-nurse-substitution (Ärzt:innen ersetzen durch Hilfskräfte+Algorithmus), Home based care (Direkt-Vermarktung von Pharma und Dienstleistungen nach Hause), Patient Processing & optimales Health Management (digitalisierte, gewinnmaximierende Rationalisierung), politische Lenkung (u.a. Pflicht zum Konsum medizinischer Produkte) und konsumentenbezogene Vermarktung von Unsicherheit, Angst und Lebenskrisen. Das Geschäftsfeld rund um Krankheit und Gesundheit wird gerade vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer, ökologischer, sozialer Multikrisen stabil und stetig weiterwachsen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen entwarfen die Teilnehmer:innen kreative Wege zur Neugestaltung der Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen, zur Rollengestaltung und Behandlungsausrichtung in der Medizin sowie zur Stärkung der Prävention und Patient:innen-Autonomie.

Intransparenz und (strukturelle) Einfallstore für Korruption beim Corona-Management im Gesundheitswesen

Referent: Rolf Blaga
Inhalt/Ergebnis:
Im Rahmen des Workshops listeten die Teilnehmenden korruptives Verhalten, Betrug und Machtmissbrauch im Rahmen des Corona-Managements auf und analysierten hierfür Einfallstore. Dabei zeigten sich strukturelle Schwächen in politischen Entscheidungsprozessen, Intransparenz und politisch ermöglichte Einflussnahmen auf Verordnungen und Gesetze. MEZIS und Transparency International planen, gemeinsam Forderungen an die Regierung zu stellen. Das Ziel ist, diese Schwachstellen zu beseitigen, um korruptivem Verhalten in gesundheitlichen Krisensituationen vorzubeugen.

Hochpreiser

Referent:innen: Dr. Frauke Repschläger
Inhalt/Ergebnis:
Frauke Repschläger diskutierte mit den Teilnehmenden die Preispolitik der Pharmaunternehmen. Während die Verordnungsmengen für Versicherte seit Jahren nahezu konstant sind, stiegen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel überproportional an. Grund dafür sind fast ausschließlich die hohen Preise der Präparate. Die Auswirkungen dieser Entwicklung erfordert dringendes Gegensteuern.
Ärzt:innen befinden sich durch die Preispolitik und aufgrund von fehlendem oder lückenhaftem Zugang zu Forschungsdaten der Pharmaindustrie im Spannungsfeld: Welche Medikamente können sie (schwer) kranken Patient:innen womöglich nicht verwehren, obwohl die Datenlage zu Chancen und Risiken (z.B. starke Nebenwirkungen) nicht ausreichend ist? Hier bedarf es eines regulatorischen Eingreifens der Politik, damit Ärzt:innen bei der Behandlung von Patient:innen nicht mit zusätzlichen ökonomischen und ethischen Fragestellungen belastet werden.
Es stellt sich außerdem die gesamtgesellschaftliche Frage, ob es sozialverträglich ist, für einen sehr kleinen Bevölkerungsanteil enorme Summen aus der Krankenkasse für hochpreisige Medikamente auszugeben. Sowohl die lückenhafte Datenlage bezüglich der Chancen und Risiken vieler Medikamente, als auch die immense Verteuerung einiger Präparate, machen diese Diskussion erforderlich. Auch hier ist ein Eingreifen der Politik gefragt, um evidenzbasierte Behandlung mit angemessenen Arzneimittelpreisen allen zugänglich machen zu können.
Die Politik ist aufgerufen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Pharmaindustrie in die Verantwortung nehmen. Im Fokus steht dabei der lückenlose Zugang zu Forschungsdaten der Pharmaunternehmen. Des Weiteren lassen sich Forschungsgelder einsparen, indem zu ähnlichen Krankheiten und Medikamenten in Allianzen und nicht unabhängig voneinander geforscht wird.
Das Thema der Hochpreisigkeit von Medikamenten muss der Politik und vor allem den Abgeordneten angetragen werden. Frauke Repschläger plädiert daher für eine Allianz aus kritischen Vereinigungen, um mit einer gemeinsamen Stimme an die Politik heranzutreten und somit ein starkes Signal zu senden


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Freitag, 24.06.2022

  • 17:15 Uhr

    Beginn der Fachtagung

    (Pressegespräch)
  • 18:00 Uhr

    Podiumsdiskussion

    Markt.Macht.Daten. – Kann Medizin noch Mensch?
  • 20:00 Uhr

    Get together

    CJD Bonn

Samstag, 25.06.2022

  • 09:00 – 11:00 Uhr

    Mitgliederversammlung 2022

  • ab 10:00 Uhr

    Markt der Möglichkeiten

  • 11:30 – 13:00 Uhr

    Impulsreferate

  • 13:00 – 14:00 Uhr

    Mittagspause

  • 14:00 – 15:30 Uhr

    Workshops Teil I

  • 15:30 – 16 :00 Uhr

    Kaffeepause

  • 16:00 – 17:30 Uhr

    Workshops Teil II

  • 18:30 Uhr

    Jubiläumsfeier mit Award-Verleihung „Goldenes Zäpfchen“
    Get together mit Musik & Tanz

    CJD Bonn

Sonntag, 26.06.2022

  • 09:00 – 10:30 Uhr

    Workshops Teil III

  • 10:30 – 11:00 Uhr

    Pause

  • 11:00 – 13:00 Uhr

    Plenum

    Vorstellen der Ergebnisse
    Gemeinsame Verabschiedung eines Appells

Wissenschaftliche Leitung: Dr. med. Susi Bonk (Chirurgin und Sozialmedizinerin, MEZIS Beirat, Meschede)
CME-Punkte sind beantragt.


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