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Direkt-to-Consumer Advertisement (DTCA) in Deutschland: Wie geht es weiter?

  • Niklas Schurig, MEZIS;

  • Beitrag erscheint auch im VdPP Rundbrief Nr. 123.

Wer kennt diese Werbungen nicht: Plakate an Bushaltestellen, die mit angstauslösenden Bildern vor schlimmen Schmerzen durch Gürtelrose warnen. Radiospots und ganzseitige Zeitungsanzeigen, die zur Impfung gegen Lungenentzündung aufrufen.

Wer weiter forscht, findet professionell gemachte Filme auf YouTube von Müttern mit durch Meningokokken verstümmelten Kindern, die wohl bei allen Müttern und Vätern Angst und Impfdruck auslösen. Erkrankungen wie Adipositas werden im Netz bedrohlich dargestellt und die schnelle Heilung mit Abnehmspritzen versprochen.

Das Muster dieser seit einigen Jahren deutlich zunehmenden Werbekampagnen ist immer gleich und ähnelt den klassischen Pharma-Werbestrategien der „Disease Awareness“:

  1. Mache die Bevölkerung darauf aufmerksam, dass es sich um eine ernst zu nehmende Erkrankung handelt und nutze Angst als Mechanismus.
  2. Biete in derselben Werbebotschaft eine einfache Lösung für dieses Übel an: das pharmazeutische Produkt.

Bekannte Beispiele für solche Kampagnen waren z. B. „Libidoverlust der Frau, Prä-Diabetes, vorzeitiger Samenerguss beim Mann, Fettstoffwechselstörungen“. Je nach beworbenem Präparat kann das Ziel beispielsweise darin bestehen, „auffällige“ Laborwerte zu pathologisieren, Befindlichkeitsstörungen ohne Krankheitswert als relevante Erkrankungen darzustellen oder breitere Bevölkerungsgruppen zu Screeningmaßnahmen zu verleiten.

Gefährdet sind hier alle Menschen, die sich durch die erzeugten Ängste oder Heilsversprechen unter Druck setzen und unter Umständen irrational bis panisch reagieren. In den USA, wo die „Direct-to-Consumer“-Werbung für Arzneimittel noch erlaubt ist, starben und sterben immer noch Hunderttausende durch geschickt beworbene hoch potente Opioide, die als sichere Schmerzmittel ohne Abhängigkeitspotential angepriesen wurden. Ein ähnlich unbesonnenes und uninformiertes Verbraucher:innenverhalten ist in Deutschland im riesigen und nicht wirkungsvoll regulierten Markt der „Nahrungsergänzungsmittel“ zu beobachten. Der Gesetzgeber und die Verbraucherschutz-Organisationen haben bis heute kein Rezept gegen diese Art der Werbung gefunden.

In Deutschland sind Werbungen, die sich direkt an Patient:innen richten, aus oben genannten Gründen durch das Heilmittelwerbegesetz eigentlich verboten.

Eigentlich – und das ist die Gesetzeslücke, die geschickt genutzt wird – ist nur die Nennung von Produktnamen verboten, nicht aber Werbung zu einer Krankheit. Bei den aktuellen Werbekampagnen gibt es laut Zulassung in Deutschland immer nur exakt ein zugelassenes Präparat der „informierenden“ Firma – und so läuft das Heilmittelwerbegesetz hier ins Leere.

Hinzu kommt, dass verschiedene Gesetzesgrundlagen auf EU-, Bundes- und Landesebene eine unübersichtliche Ausgangslage bilden. Auf EU-Ebene wurden zwei Vorstöße der EU-Kommission, DTCA zu erlauben, abgewehrt, somit ist immer noch die Richtlinie 2001/83/EG die Rechtsgrundlage [1]. Ob die Verbreitung von Informationen ein Werbeziel beinhaltet, ist jedoch durch eine konkrete Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Dies ist wiederum Sache des nationalen Gerichts.

Auf Bundesebene kommt § 3 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) eine zentrale Bedeutung zu [2]. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die „Information und Aufklärung der Allgemeinheit über die Gefahren übertragbarer Krankheiten und die Möglichkeiten zu deren Verhütung“ bei Impfstoffen nach Infektionsschutzgesetz eine „öffentliche Aufgabe“ ist. Das HWG untersagt „irreführende Werbung“. Das Oberlandesgericht Oldenburg urteilte dazu im Jahr 2005: „Eine darauf bezogene, in den Anwendungsbereich des HWG fallende Werbung ist dann irreführend, wenn sie in den angesprochenen Verkehrskreisen bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zu unzutreffenden, von der Wirklichkeit abweichenden Vorstellungen führt oder zumindest führen kann.“ [3]

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG darf auch nicht geworben werden „… mit der Wiedergabe von Krankengeschichten sowie mit Hinweisen darauf, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt oder durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann.“ Das Problem dabei ist, dass es noch keine Rechtsprechung zu einer Darstellung in missbräuchlicher Weise gibt.

Zudem fällt eine Werbeaussage, die geeignet ist, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen, seit 2012 nicht mehr unter das HWG, sondern unter das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) [4] . Auch dort gilt wieder der Einzelfall, bei dem die Werbung zunächst erst einmal derart unangemessen Einfluss ausüben muss „… um die freie Entscheidung der Verbraucher zu beeinträchtigen …“, was wiederum am Einzelfall zu prüfen ist.

Aus dieser sicherlich unvollständigen Übersicht wird deutlich, dass die juristischen Voraussetzungen denkbar ungünstig sind, um durch Klagen, die über eine konkrete Werbekampagne hinaus gültig sind, allgemein gültige Klärungen zu erzielen.

Was tun?

MEZIS und andere Organisationen [5] versuchen deshalb seit 2023, für diese Art der unlauteren Werbung zu sensibilisieren. Als Präzedenzfall wählten wir die GSK-Werbung für die „Gürtelrose“-Impfung.

Der von uns angefragte „Beauftragte der Bundesregierung für Belange der Patientinnen und Patienten“ fühlte sich nicht zuständig und verwies an das Bundesgesundheitsministerium. Die Verbraucher- und Wettbewerbszentrale schrieb uns, dass sie keinen Verstoß erkennen könne, „da ein Medikament nicht genannt wird“. Und die für den Impfstoffhersteller GSK zuständige Aufsichtsbehörde, die „Regierung von Oberbayern“ wollte auch auf mehrfache Nachfragen bis Mai 2024 keine weitergehenden Informationen preisgeben.

Trotz all der Absagen und Vertröstungen ergab sich aus dem Workshop „Direkt-to-Consumer Advertisement (DTCA) in Deutschland: Nur ein bisschen verboten?“ bei der gemeinsamen MEZIS und VdPP Fachtagung 2024 „Medikalisierung, Übertherapie, Pathologisierung“ [6] ein erneuter Aktionswille. Auf Vorschlag einer in diesem Bereich erfahrenen Bundestagsabgeordneten starteten wir im Juli 2025 eine Bundestagspetition [7].

Denn obwohl das Thema für die Bereiche Patient:innen- und Bevölkerungssicherheit, Verbraucher:innen- und Umweltschutz von hoher Relevanz ist, bekommt es aufgrund der juristischen Komplexität bisher nicht die für eine Aktion notwendige öffentliche Aufmerksamkeit.

Die Petition muss zumindest von den beteiligten Ministerien gelesen werden und soll als gut dokumentierter Ausgangspunkt das Problembewusstsein bei den beteiligten Playern im Gesundheitswesen schärfen.

Autor

Foto Niklas Schurig

Niklas Schurig

Niklas Schurig ist als Facharzt für Allgemeinmedizin in einer Gemeinschaftspraxis in Rastatt niedergelassen. Seit 2012 engagiert er sich im MEZIS-Vorstand insbesondere zu den Themen ärztliche Fortbildungen und Digitalisierung.

Fußnote