Die Realität ist komplex. Sie besteht aus Systemen und ist eingebettet in übergeordnete Systeme. In der Betrachtung dynamisch, lebender Zusammenhänge, gewinnen Beziehungen, Einflüsse und Wechselwirkungen an Bedeutung: Entwicklungen, Veränderungen und Wachstum. Oder Krisen und Konflikte, die miteinander verwoben sind, und die sich unmittelbar auf Gesundheit und Krankheit auswirken, u.a. Biosphären-Katastrophe, Pandemie, Krieg, profitorientiertes Wachstum, Wirtschaftskrise, …
Um systemische Zusammenhänge zu verstehen, ist es nützlich, die eigene Erfahrung, Wahrnehmung und Einstellung zu hinterfragen. Deshalb stellen wir im folgenden ethische Grundsätze zur Diskussion, die uns im medizinischen Bereich besonders wesentlich erscheinen. Sie können als Mess-Instrument genutzt werden, um günstige und schädliche System-Einflüsse bewerten und beurteilen zu können, und um zu versuchen, sie günstig zu beeinflussen. Wir laden Euch herzlich ein, mit uns gemeinsam die Möglichkeiten zu sehen, die sich uns bieten und mit uns kreativ nach Wegen zu suchen, um die Zahl der Möglichkeiten zu erweitern.
Vorschläge für die Handlungs-Grundlage von Mezis
Ausgehend von der Idee der „Unbestechlichkeit“ haben wir Vorschläge zu den ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns erarbeitet, für die wir uns bei MEZIS einsetzen wollen. Die Grundlage der Überlegungen sind folgende ethische Prinzipien:
Erläuterungen
zu 1: Das Vorsorgeprinzip „Nicht schaden“ ist die älteste Grundlage ärztlichen Handelns. Es verlangt im Zweifel nicht zu handeln sondern zu beobachten („Abwartendes Offenhalten“) oder sehr kontrolliert und sorgsam vorzugehen. In der Realität des Gesundheitsmarktes wird das Vorsorgeprinzip umgekehrt: „Handeln, solange kein Schaden bewiesen und eine Nutzenvermutung durch Kurzzeitbeobachtungen plausibel erscheint“. Erst im Nachhinein wird die Wirksamkeit von Maßnahmen in Langzeitbeobachtungen verifiziert, z. T. undokumentiert, unsystematisch und unverblindet. In der Zwischenzeit werden häufig Medikamente ohne Nutzenbeweis durch systematische, herstellerunabhängige Langzeitbeobachtungen verordnet. MEZIS setzt sich dafür ein, dass nur bewiesenermaßen nützliche Therapiemaßnahmen eingesetzt werden und der Beweis systematisch und herstellerunabhängig erfolgt.
zu 2: Auch das Abwenden drohenden Schadens ist ein ärztliches Grundprinzip. Der Schutz vor iatrogenen und nosokomialen Schäden sollte nicht aufgrund kommerzieller Interessen missachtet werden. Insbesondere in den Entwicklungsländern sollten die bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen niemals für Profit ausgenutzt werden. Es sollte verhindert werden, dass ein bestehender Schaden (Krankheitsausbruch) durch einen anderen (bspw. die Abhängigkeit von Firmen) ersetzt wird.
zu 3: Die Nachfrage nach weiteren Behandlungsleistungen zu senken bedeutet, Behandlungswirksamkeit, Effektivität und Effizienz in den Fokus der Behandlungsqualität zu stellen. Interventionen, die zu immer neuen Interventionen und Abhängigkeiten führen würden, sollten kritisch hinterfragt und abgelehnt werden.
zu 4: Übertherapie und Untertherapie sind im Gesundheitsmarkt eher die Regel als die Ausnahme. Es gehört zu den therapeutischen Aufgaben, Patientinnen und Patienten vor einer Medikalisierung ihrer Lebensprobleme zu schützen und andererseits z. B. bei Migrantinnen und Migranten oder im Zusammenhang von Global Health Mangelversorgungen aufzuzeigen.
zu 5: Eine optimale Kommunikation zwischen Patientin/Patient und Behandlerin/Behandler gründet sich auf Einfühlungsvermögen, Offenheit, Wahrhaftigkeit, Transparenz, Vertrauen und auch Selbstreflektion. Bei einem großen Teil der Angebote des Gesundheitsmarktes werden Interessen der Anbieter verfolgt, die nicht genannt werden und in Irreführung und Erzeugung von Abhängigkeit münden, Patientinnen und Patienten werden bewusst und unbewusst über Wirkungszusammenhänge getäuscht. Sie davor zu bewahren, ist ein wichtiges ethisches Ziel.
zu 6: Das Empowerment der Patientinnen und Patienten ist umso dringlicher, je stärker Marktinteressen das Gesundheitswesen bestimmen. Lernen, persönliche Entwicklung, Förderung sinnvollen Verhaltens und gesunder Verhältnisse sollten im Fokus stehen. Im Interesse der Patientinnen und Patienten ist es nötig, Strategien zu entwickeln, die aus Abhängigkeiten befreien, damit sie die eigene Gesundheitssituation selbst bestimmt beeinflussen können.
In der weiteren Diskussion wird erarbeitet werden, wie die genannten ethischen Grundsätze in die praktische Arbeit von MEZIS einfließen können. Für den Erfolg von MEZIS wird es nicht nur wichtig sein zu verdeutlichen, „wogegen“, sondern ebenso „wofür“ wir uns zukunftsorientiert einsetzen wollen.
Wir bitten alle MEZIS-Mitglieder, sich kritisch und innovativ in diesen wichtigen Diskurs einzubringen.
Jäger H: Ethische Herausforderungen in der Medizin und die Konsequenz für MEZIS. MN 3/2019, S. 8
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